Das zerrissene "staatliche Gewissen"

Die Bioethikkommission vertagt die Fertigstellung ihres Papiers zur Fortpflanzungsmedizin. Intern sei die Stimmung „polarisiert“.

Eigentlich wollte man bis Sommer fertig sein. Konkret vergangenen Montag wollte die Bioethikkommission – jene 25 Experten, die quasi als „staatliches Gewissen“ den Bundeskanzler beraten – ihre lang erwartete Empfehlung zum Thema Fortpflanzungsmedizin vollenden. Allein: Es wurde nichts daraus.

Das Papier, das Themen wie die Eizellenspende, die Präimplantationsdiagnostik (Untersuchung des Embryos vor dem Einsetzen in die Gebärmutter) und die Frage, ob lesbische Paare und alleinstehende Frauen künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF) in Anspruch nehmen dürfen, behandeln soll, wird doch erst im Herbst fertig. Die Gründe? Zum Teil banal. Manche Mitglieder sollen sich mit der Abgabe ihrer Papiere verspätet haben.

Allerdings: Auch heftige Debatten sind schuld. Was zunächst nicht groß verwundern muss. Immerhin ist die Kommission bewusst ideologisch kontroversiell zusammengesetzt – wo die Trennlinien verlaufen, konnte man zuletzt bei der Stellungnahme der Kommission an den Verfassungsgerichtshof zur IVF für Lesben und alleinstehende Frauen ablesen. (19 der 25 Mitglieder stimmten dafür, der Rest dagegen.) Die Stellungnahme zeigte auch, dass es in der mit Juristen, Medizinern, Philosophen besetzten Kommission nicht nur um medizinische Finessen geht, sondern auch um die großen Themen dahinter: Was verstehen wir unter Familie? Oder: Sollen bei der Fortpflanzungsmedizin die Interessen der Eltern in spe, also der Frauen, oder die des Embryos, des Achtzellers im Reagenzglas im Mittelpunkt stehen?

„Die Kommission spiegelt die Pluralität der Weltanschauungen in unserer Gesellschaft wider. Einstimmigkeit ist bei diesem Thema kaum zu erzielen, wichtig ist ein mit gegenseitigem Respekt geführter Diskurs“, sagt dazu Kommissionsvorsitzende Christiane Druml. Respektiert fühlen sich aber offenbar nicht alle. In der Kommission überwiegt von Haus aus der Anteil jener pro Liberalisierung. Da in der Öffentlichkeit aber nur über die – somit vorhersehbare – Mehrheitsmeinung diskutiert werde, würden die IVF-Skeptiker ständig als „Idioten von vorgestern“ dastehen, klagt eben einer dieser Skeptiker. Und wünscht sich statt Mehrheits- und Minderheitsmeinungen Empfehlungen an die Politik, die das ganze Meinungsspektrum abbilden. Der „Politik“ (gemeint ist wohl die Bundeskanzlerpartei) gehe es aber bloß darum, von der Kommission eine Rechtfertigung für die Liberalisierung der Gesetze zu bekommen. Daher würde auch zeitlich Druck gemacht. Und daher gebe es – so auch vergangenen Montag – Abstimmungen über Texte, bevor diese fertig seien. Ethische Debatten kämen dabei zu kurz.

Der Ärger der Skeptiker ist ein Grund, warum die Stimmung als „polarisiert“ beschrieben wird. Genauer gesagt: als „polarisiert und lähmend“. Denn, so meint ein anderes Mitglied: Man sei intern blockiert, es gehe nur zäh voran. Kritik hört man dabei auch vom anderen Ende des Meinungsspektrums (wo man sich fragt, wie man mit IVF-Gegnern auf einen grünen Zweig kommen soll). Es werde zu juristisch und zu wenig medizinisch-praktisch diskutiert. Auch würde die Kommission Entwicklungen verschlafen. So wird an Bluttests bei Schwangeren geforscht, mit denen man gewisse Aussagen über Krankheiten des Embryos wird treffen können. Im Papier der Kommission ist keine Rede davon.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2012)

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