„Pussy Riot“ versus Putin: Wer wird durchkommen?

Die angeklagten Punk-Künstlerinnen hielten bewegende Plädoyers. Sie stellen sich in die Tradition berühmter Freiheitskämpfer.

Es war der Schlachtruf der Verteidiger der Republik im Spanischen Bürgerkrieg: „¡No pasarán!“ haben die Gegner General Franco nach dessen Putsch gerufen, wenn es in den Freiheitskampf ging: „Sie werden nicht durchkommen!“ Dolores Ibárruri Gómez, besser bekannt unter ihrem Nom de Guerre, La Pasionaria,soll diesen Slogan als Erste ausgerufen haben, jene spanische Revolutionärin, die nicht nur das Schlachten von 1936 bis 1939, sondern auch noch die Diktatur und El Caudillo überleben sollte.

Als Eurokommunistin starb sie im Jahr der Wende 1989 mit 93 in Madrid. Und behielt beinahe recht. Weder Faschismus noch Kommunismus sind in halbwegs zivilisierten Ländern durchgekommen. Ihr Spruch aber war eben bei einem Gerichtsprozess zu sehen, ausgerechnet in Moskau, jener Stadt, in die sie 1939 geflüchtet war, zu Stalin: „¡No pasarán!“ prangte auf dem T-Shirt von Nadjeschda Tolokonnikowa, Mitglied der Punkband Pussy Riot,die schon mit dem radikalen Kunstkollektiv Voina (Krieg) politisch aneckte. Nun droht den Bandmitgliedern wegen Rowdytums Arbeitslager. Die Botschaft auf dem Shirt ist klar: Nachgeben werden die drei Freigeister gegen den Autokraten Putin ebenso wenig wie einst die wilde Dolores gegen den Faschismus. Es gab bewegende Plädoyers für die Toleranz, es wurde an den sowjetischen Schauprozess gegen den Dichter Joseph Brodsky erinnert. Das mächtige System gegen drei Mädchen – „Hat es so viel Angst vor der Wahrheit?“, höhnten sie. Sogar hinter Gittern seien sie freier als ihre Verfolger: „Wir können sagen, was wir wollen, während die nur sagen dürfen, was die Zensur erlaubt.“ Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!

Pussy Riot hatten im Februar einen spektakulären Auftritt in der Erlöser-Kathedrale. Vermummt flehten die Frauen zur Gottesmutter, das Land zu befreien von Präsidentschaftskandidat Putin, für den sich die Orthodoxie zuvor massiv eingesetzt hatte. Das Regime schlug zurück: Der religiöse Hass der Künstlerinnen habe die Gläubigen tief verletzt, behauptet die Anklage. Am 17.August soll das Urteil erfolgen. Schon jetzt aber steht fest, dass die Nomenklatura zumindest moralisch und in der öffentlichen Wirkung verloren hat. Randalieren? Es geht um viel mehr! Selbst Madonna hat sich beim Konzert in Moskau schnell noch für die Kolleginnen in der Kunst der Provokation eingesetzt. Pussy Riot ist Kult.

Die Aktion im Februar war laut Verteidigung nicht gegen Gläubige gerichtet, sondern gegen das herrschende politische System. Es wird nicht durchkommen! – hoffen die Künstler. Langfristig. Auch in der Sowjetunion hätten die Dissidenten schließlich recht behalten, meinen die Frauen. Menschen, die die Wahrheit sagen, seien frei, nicht jene, die nur Befehle ausführten. Bei so viel Aufklärung hilft nur milder Pragmatismus, wie schon Frankreichs Staatschef de Gaulle erkannte, als es um den unbequemen Denker Sarte ging. Das Urteil des Generals: „Voltaire verhaftet man nicht!“

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2012)

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