Neue Zugänge zu einer "Lost Generation" der Musikgeschichte

Den "Orpheus Trust" gibt es nicht mehr. Doch der weit schlechter dotierte Verein "Exil.Arte" liefert handfeste Ergebnisse über "vertriebene Musik".

Vertriebene Musik“? Persönliche Schicksale von Musikern, die Opfer des Rassenwahns oder der politischen Verfolgung im 20. Jahrhundert wurden, können oft nur mit Mühe rekonstruiert werden. Von einiger Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Sammeln von Nachlässen. Hier hat sich in Wien über einige Jahre der sogenannte „Orpheus Trust“ engagiert, ein privater Verein, der allerdings 2006 seine Tätigkeit eingestellt und sämtliche Unterlagen – darunter viele Musikernachlässe – einer Berliner Sammlung übergeben hat.

Die Begleitumstände waren einigermaßen undurchsichtig, vor allem von heftigen Klagen über mangelnde Zuwendungen durch die öffentliche Hand begleitet. Eine Studie des Instituts für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft beziffert allerdings allein die Geldflüsse aus Bundeskanzleramt und der MA7 zwischen 2000 und 2006 auf etwas mehr als 640.000 Euro.

Wie auch immer: Nach Ende des Trusts bildete sich unter der Führung Gerold Grubers, Professor an der Musikuniversität Wien, der Verein „Exil.Arte“, der, wiewohl weit weniger großzügig finanziert, handfeste Ergebnisse liefert. Eine CD-Reihe dokumentiert „vertriebene Musik“, jüngst beleuchtete ein Symposion die Pionierstellung von Exilösterreichern in der Filmmusik. Eine Buchreihe begann eine Übersetzung von Brendan Carolls verdienstvoller Lebenschronologie Erich Wolfgang Korngolds sowie der ersten biografischen Arbeit über Max Steiner – aus der Feder Peter Wegeles (Böhlau Verlag).

Überdies garantiert die universitäre Basis von „Exil.Arte“ höchste Qualität bei wichtigen wissenschaftlichen Projekten. Eben gab man den Startschuss zu einer kritischen Ausgabe sämtlicher Werke Erich Wolfgang Korngolds. Sie wird vierzig Bände umfassen und auch die Filmpartituren enthalten.

Von jedem Band soll auch eine kostengünstige Studienausgabe erscheinen. Womit Musikfreunde beispielsweise erstmals Zugriff auf eine Partitur der Meisteroper „Die tote Stadt“ hätten, die bis heute nicht im Handel erhältlich ist. Solche Versäumnisse aufzuholen, aber auch völlig unbekannte Musik wieder ans Licht zu bringen, gehört zu den Zielen von „Exil.Arte“. Um Unklarheiten, wie sie durch die Politik des „Orpheus Trusts“ entstanden sind, zu vermeiden, hat man in den Statuten des neuen Vereins festgelegt, dass Musikernachlässe jedenfalls an eine der großen Wiener Sammlungen – etwa Nationalbibliothek oder Musiksammlung der Stadt Wien – weitervermittelt werden, Institutionen, die sich übrigens auch für den Verbleib der Bestände des „Orpheus Trusts“ starkgemacht hätten...

Am 28.November bittet „Exil.Arte“ in den Musikverein zu einem Programm, das auch auf der jüngsten Ausgabe der CD-Reihe (Gramola) nachgehört werden kann: „Lost Generation“ – mit Werken von Schulhoff, Ullmann und Hans Gál, gekoppelt mit Musik von Dvořák und dessen Schüler Vilém Tauský.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2012)

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