Warum die Philharmoniker doch außerordentlich sind

Wiens Meisterorchester geht mit Franz Welser-Möst auf Tournee - und spielt nicht, was alle anderen bei solchen Gelegenheiten auch spielen.

Orchester auf Reisen – das ergibt seit Langem ein ewig gleiches Bild: Die Programme bestehen nach der Pause in der Regel aus Symphonien wie Mahlers Erster oder Fünfter, dem einen oder anderen Brüller von Schostakowitsch, Bartóks Konzert für Orchester, Strawinskys „Feuervogel“ oder „Sacre du printemps“ oder der Symphonie fantastique von Berlioz. Wer Beethoven, Brahms oder gar Bruckner ansetzt, darf schon als Exot gelten – oder wird erst gar nicht eingeladen.

Die ersten Programmteile sind in der Regel Spielwiesen für Restbestände planerischer Fantasie, so sie nicht zwecks Finanzierungssicherung durch Zuschusskannen der öffentlichen Hand mit mehrheitlich entbehrlichen Novitäten jährlich wechselnder Residenzkomponisten oder Auftragsempfängern zugekleistert werden. Das ist ein etwas überspitzter Befund, zugegeben, aber im Kern trifft er, denke ich, die Sache.

Dass unsere Philharmoniker unter der Leitung von Franz Welser-Möst nun nach Amerika gehen und Bruckner, Schubert, Berg und Richard Strauss, neben dem „Till Eulenspiegel“ auch rare Orchesterlieder mit dem draufgängerischen Herbert Lippert im Gepäck haben, das grenzt heutzutage an ein Mirakel.

Fehlt nur noch, dass mit Joseph Haydns gleichnamiger Symphonie noch ein Wiener Klassiker hinzukäme. Aber diese Musik haben unsere großen Orchester längst den Händen von ebenso weltreisenden Originalklangexperten überantwortet. Man ist eben Originalklangensemble für Mahler, dessen Zeitgenossen und Nachfahren.

Dass die Wiener hier gegensteuern, ist erfreulich. Denn die heimatlichen Voraufführungen lassen ja hoffen, dass diesmal – notabene mit dem richtigen Repertoire – ein Exempel statuiert wird, das die jüngst an dieser Stelle geäußerten Befürchtungen einer totalen Nivellierung der Klangcharaktere zumindest relativieren könnte.

Die Wiedergabe des Berg-Violinkonzerts mit dem souveränen Frank-Peter Zimmermann, aber auch die von Bruckners „Romantischer“ hatten allerhand mit wienerischer Spielkultur zu schaffen, hoben sie in Sachen „Wiener Schule“ sogar auf ein bisher kaum gekanntes Verständnisniveau.

Und wie die Bruckner-Aufführung, die dank der gewählten allerletzten Partiturfassung aufhorchen ließ, gab Dvořáks Siebente, die wir ja durchaus dem näheren heimischen Klangterritorium zuschlagen dürfen, Kennern Gelegenheit zu philologischen Gedanken: Welser-Möst hatte die lange Urfassung des langsamen Satzes gewählt, den Dvořáks Verleger vor der Drucklegung gekürzt zu haben wünschte.

Eine Erstbegegnung mit bekannt Geglaubtem – mit einem solchen Paradoxon macht ein reisender Botschafter der Musikstadt Wien allerhand aus deren einschlägigem Sündenregister wieder gut...

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2013)

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