Hunger macht hungrig, egal, wonach und um welchen Preis

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein knurrender Magen lässt beim Einkauf auch zu Dingen greifen, die mit Essen überhaupt nichts zu tun haben und die man nicht braucht.

Wenn ein Brettspiel „Community Game“ heißt, dann hat das ganz andere Auswirkungen auf das Verhalten der Spieler, als wenn exakt das gleiche Spiel den Namen „Wall Street Game“ trägt. Die Implikationen der Namen schlagen durch bzw. breiten sich aus, das zeigt sich auch in Tests, in denen am Rande Wörter wie „unterstützen“ oder „teilen“ auftauchen. Das hebt die Kooperation.
Ist dergleichen auf Sozialverhalten beschränkt, oder gilt es auch in einem anderen Bereich, lässt etwa ein leerer Magen anders in die Welt schauen als ein frisch gefüllter? Hunger wirkt: Wer hungrig ist und Essen sieht, den macht es mehr an – um so mehr, je fetthaltiger es aussieht –, auch das Einkaufsverhalten im Supermarkt ändert sich, und zwar abhängig von der Leibesfülle: Dünne Menschen greifen nach einer Mahlzeit weniger und rascher nach Lebensmitteln im Regal, dicke nehmen sich mehr Zeit und schlichten auch mehr in ihre Einkaufswagen.
Und es geht nicht nur um das Essen, zumindest bei Männern: In Not leidenden Gesellschaften halten sie eher nach fülligeren Frauen Ausschau, vermutlich haben die Nahrungsquellen. Doch es ist so, kulturübergreifend – und geschlechtsspezifisch: Frauen schauen bei Männern auf die Fülle nicht der Körper, sondern die der Geldbörsen und des sozialen Status – Leif Nelson (New York) hat es gezeigt (Psychological Science 16, S. 167).
Von solchen Studien hat sich Marketingexpertin Alison Jing Xu (University of Minnesota) anregen lassen, die Macht des Hungers – gemeint ist unserer, der milde – tiefer zu erkunden: Wer hungrig ist, schaut sich nach Nahrung um, mustert die Welt mit einem „Akquisitionskonzept“. Richtet sich das nur auf Essbares? Nein, auch auf Dinge, die mit Essen gar nichts zu tun haben – Büroklammern etwa – und die man weder braucht noch mag, und das endet auch dann nicht, wenn die Dinge etwas kosten.
Xu hat Testpersonen in ihr Psychologenlabor geladen und ihnen zunächst eine lange Liste von Verben vorgelegt, sie erschienen ganz kurz auf einem Screen, manche bezogen sich auf das Akquisitions-Konzept („wollen“ etc.). Die wurden umso besser erkannt, je hungriger die Probanden waren. Dann gab es Produkte zu sehen, fünf Nahrungsmittel, fünf x-beliebige (PC-Maus etc.). Auch letztere wurden mit dem Hunger interessanter. Schließlich ging es darum, die Funktionsfähigkeit von Büroklammern zu testen, zur Belohnung gab es beliebig viele. Auch der Wunsch nach diesem Besitz wurde bei knurrenden Mägen drängender (Pnas 16. 2.).
Haben solche Laborbefunde irgendetwas mit der Welt zu tun? Am Schluss hat Xu echte Kunden in einem echten Einkaufstempel – Schuhe, Kleider etc., nur wenig Feinkost – um Einkaufszettel und Selbsteinschätzung des Hungers gebeten: Dieser hatte die Rechnungen in die Höhe getrieben.

E-Mails: juergen.langenbach@diepresse.com

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