„Beunruhigende Korruption der Wissenschaften“

Hollywoodstar Ben Affleck unterdrückte den peinlichen Umstand, dass einer seiner Ahnen Sklaven hielt.

Ben Affleck, der Filmschauspieler, Drehbuchautor und Regisseur, trägt die historische Verantwortung im Namen. Seine Eltern gaben ihm Géza als zweiten Vornamen, zu Ehren eines ungarischstämmigen Freundes, der den Holocaust überlebt hatte. Vor fünf Jahren gründete er die „Eastern Congo Initiative“, die sich um den Aufbau des von jahrzehntelangen Kriegen zerrütteten Ostens der Demokratischen Republik Kongo bemüht; Ende März trat er in dieser Funktion bei einer Enquete im US-Kongress auf.

Das soziale Engagement hat Affleck von seinen Eltern gelernt: Seine Mutter demonstrierte vor 50 Jahren in Mississippi für die Bürgerrechte der Schwarzen. Auf diesen Teil seiner Familiengeschichte kann er mit Recht Stolz sein. Im Oktober 2014 trat er in der populären Fernsehshow „Finding Your Roots“ auf. Der renommierte Harvard-Historiker Henry Louis Gates Jr. ergründet in dieser Sendung des öffentlich-rechtlichen PBS die Genealogie prominenter Amerikaner.

Für Affleck brachte das eine unangenehme Überraschung: Sein Urururgroßvater Benjamin Cole aus Savannah, Georgia, war Sklavenhalter. In der Volkszählung 1850 gab Cole an, 25 Sklaven zu besitzen. Für Affleck war das ein enormer Schock. Und er tat etwas, das ihn vor ein paar Tagen heimsuchte: Er versuchte, diesen Teil seiner Familiengeschichte zu unterschlagen.

„Im Vertrauen, zum ersten Mal hat einer unserer Gäste uns gebeten, etwas über seine Vorfahren herauszuschneiden – die Tatsache, dass er Sklaven besaß. Was sollen wir machen?“, schrieb Gates in einer E-Mail an seinen Freund, den Vizevorstandschef des Filmkonzerns Sony Pictures.

Man leistete Afflecks Begehr Folge. In der Sendung war vom Sklavenhalter Cole kein Wort zu hören. Am Wochenende flog diese Vertuschung auf, nachdem unzählige E-Mails von Sony-Managern, die vermutlich von nordkoreanischen Hackern gestohlen worden waren, auf der Internetplattform Wikileaks veröffentlicht worden waren.

PBS prüft seither, ob Gates die journalistischen Grundsätze des Senders verletzt hat. Er ist nicht der einzige prominente Wissenschaftler, der in letzter Zeit an die Grenzen seiner Respektabilität geraten ist. Mehmet Oz, Chirurgieprofessor an der Columbia University, bewirbt seit Jahren in seiner TV-Show alternativmedizinische Produkte, von denen mehr als die Hälfte wirkungslos ist, wie das „British Medical Journal“ befand. Die „New York Times“ warnte am Mittwoch vor einer „beunruhigenden Korruption der Wissenschaften durch die Prominentenkultur“.

Ben Affleck jedenfalls fand, mit Verspätung und unfreiwillig, die richtigen Worte: „Wir verdienen weder Lob noch Tadel für unsere Ahnen, und das Ausmaß an Interesse an dieser Geschichte zeigt, dass wir als Nation noch immer mit dem schrecklichen Erbe der Sklaverei ringen.“ Und noch etwas sagte Affleck, das jeder bedenken sollte, der populärwissenschaftliche TV-Sendungen sieht: „Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass das kein Nachrichtenprogramm ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2015)

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