Wer auf dem Salzburger Domplatz sterben will, darf dick oder dünn, alt oder jung, groß oder klein sein. Aber er muss wissen: „It's showtime!“
Salzburg braucht einen neuen Jedermann! Noch vor Beginn seiner vierten Saison bei den Festspielen hat Cornelius Obonya erklärt, dass er dieses Jahr zum letzten Mal die Titelrolle in Hugo von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ geben werde. Eine noble Geste, die dem künftigen Intendanten Markus Hinterhäuser auch bei diesem seit 1920 vor dem Dom und im Festspielhaus gespielten Bestseller völlig freie Gestaltungsmöglichkeit gibt, aber die Aufführungen in diesem Sommer haben nun eher nostalgischen Wert, während die wirklich spannende Frage lautet: Wer darf der Nächste sein?
Kann jedermann den Jedermann? Nein, denn es braucht immense Präsenz und viel Können, diese etwas hölzern wirkenden Verse höchst dramatisch umzusetzen. Aus der zynischen Abgeklärtheit der Moderne wird eine fremde mittelalterliche Welt suggeriert. Wer also wäre der ideale Titelheld? Physiognomisch kann man ihn kaum eingrenzen. Es gab seit Alexander Moissis Salzburger Debüt kurz nach dem Ersten Weltkrieg große und kleine, dicke und dünne, filigrane und robuste, alte und junge Jedermänner. Bei Stimme sollte so einer schon sein, sonst erntet er zumindest den Spott mancher inzwischen zu gewaltigem Ruhm gekommener Vorgänger.
Für Max Reinhardt, den Regisseur der ursprünglichen Inszenierung, war Attila Hörbiger das Ideal – ein stattliches Mannsbild mit vielen Tugenden eines Schauspielers, vor allem aber einer: Er hatte Charisma. Das und eine wunderbare Stimme zeichnet seinen Enkel Obonya genauso aus wie die meisten, die bisher in Salzburg den Jedermann gespielt haben. Was also sind die zusätzlichen Qualitäten, die jemanden für Glanz und Herzeleid, Schuld und Sühne, Tod und Erlösung an dieser barocken Rampe qualifizieren?
Peter Simonischek, den bis heute längst dienenden der Auserwählten, erfasste die Sehnsucht, zum Theater zu gehen, als er in der Volksschule im Lesebuch ein Bild von Attila Hörbiger als Jedermann sah. Er meint, diese Aufgabe sei „nichts für Menschen, denen ein Lipizzaner bloß ein weißes Pferd bedeutet“. Sie hat wohl etwas Kultisches. Klaus Maria Brandauer, ebenfalls ein großer Darsteller dieser Allegorie des sterbenden Reichen, sagte einmal zu Simonischek, wer den Jedermann spiele, sei dann auch der Faschingsprinz von Salzburg. Showtime! Einer wie Curd Jürgens hat das gelebt. Er dehnte sein Spiel mindestens auf die ganze Stadt aus.
Wer also sollte die Tradition 2017 weiterführen, unter Umständen in einer völlig neuen Inszenierung? Muss es ein echter Österreicher sein? Lassen wir uns zu einem Kompromiss und zu Prognosen hinreißen: Gesucht wird ein Star, weit über Wien hinaus verehrt. Michael Maertens oder Martin Wuttke würden doch gut zu Salzburg passen. Bis in den frühen Herbst darf noch munter spekuliert werden.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)