Die Bischöfin und die Sünde

„Auch eine Bischöfin ist keine Heilige, sondern ein Mensch, der fehlbar ist.“

Mit 1,54 Promille Alkohol im Blut wurde die deutsche evangelisch-lutherische Bischöfin Margot Käßmann beim Ignorieren einer roten Ampel erwischt: Das ist keine Kleinigkeit, kein Kavaliersdelikt. Es wäre auch unangebracht, darüber zu scherzen, dass sie, wie weiland Jörg Haider bei seiner 1,8-Promille-Fahrt, einen Phaeton fuhr.

War es eine Sünde? Dazu bot ein Onlineredakteur des „Focus“ eine interessante Theorie: „Im Vollrausch in einem Auto eine rote Ampel zu passieren, ist ein Vergehen. Zur Sünde wird es, wenn die Fastenpredigerin Margot Käßmann am Steuer sitzt.“ Heribert Prantl in der „Süddeutschen“ differenzierte anders: „Käßmann wird man vielleicht als ,Verkehrssünderin‘ bezeichnen, aber nicht deswegen, weil man eine Alkoholfahrt mit 1,54 Promille für eine Lappalie hält, sondern weil das Wort ,Sünde‘ im Zusammenhang mit einer Bischöfin so schön ist.“

Käßmann selbst dagegen vermied in ihren Stellungnahmen theologische Termini. Sie sprach von einem „schlimmen Fehler“, den sie „zutiefst bedaure“, sie sei „über mich selbst erschrocken“. Kein Wort von Sünde oder von Buße. Auch ihren Rücktritt als Landesbischöfin begründete sie mit „weltlichem“ Vokabular: Sie könne „nicht mit der notwendigen Autorität im Amt bleiben“.

Ganz anders verhielt sich ein katholischer Geistlicher in einem ähnlichen Fall. Der Wiener Dompfarrer Toni Faber, der im Juni 2009 alkoholisiert einen Verkehrsunfall verursacht hatte, sagte zur Zeitung „Österreich“: „Ich habe gesündigt.“ Neben den nach Führerscheinentzug vorgeschriebenen staatlichen Schulungen habe er „persönliche Bußstunden“ absolviert – nun wolle er zum Vorbild werden, als Testimonial in einer Kampagne des Verkehrsministeriums gegen Alkohol am Steuer.


Hat der Unterschied mit den Konfessionen der beiden Alkoholfahrer zu tun? Haben Katholiken mit ihrer Tradition der Ohrenbeichte ein näheres Verhältnis zum öffentlichen Schuldbekenntnis? Darüber lässt sich spekulieren. Protestanten können jedenfalls den Rückzug auf den Gemeinplatz leichter argumentieren, dass auch ein Träger eines geistlichen Amts „nur ein fehlbarer Mensch“ sei. Das sagte Günther Beckstein, früherer Ministerpräsident Bayerns und stellvertretender Vorsitzender der Synode, des leitenden Gremiums aller evangelischen Kirchen Deutschlands. „Auch eine Bischöfin ist keine Heilige“, sagte er. Er hätte noch deutlicher sagen können: Sie gilt – im Gegensatz zu katholischen Priestern – nicht als Mittlerin zwischen Gott und den Menschen; sie ist auch nicht von oben ernannt, sondern „von unten“ gewählt.

So ist die Weihe zum Pfarrer bei den Evangelischen kein Sakrament. Ebenso wie die Ehe, die Luther explizit ein „weltlich Ding“ nannte. Konsequenterweise wird die Scheidung als „Notbehelf“, als „letzter Ausweg“ akzeptiert. Auch bei Pfarrern. Es sorgte dennoch für Aufsehen, als sich Käßmann 2007 als erste amtierende Bischöfin scheiden ließ.

Ein Links-rechts-Konflikt in der Kirche lässt sich aus ihrem Fall nur schwer konstruieren: Käßmann sprach sich in Predigten gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan aus, plädierte für ein Verbot der NDP; andererseits ist sie gegen eine Umwidmung von Kirchen in Moscheen und für ein klareres geistliches Profil kirchlicher Einrichtungen. Kirchen sollten wie Kirchen aussehen, sagte sie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2010)

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