Opernregie heute? Achtung vor den Rattenschwänzen!

„Ein guter Meister, doch lang schon tot“, heißt es bei Richard Wagner. Sein Enkel Wieland war ein visionärer Regisseur. Wer ist es heutzutage?

Vor Kurzem ist ein lesenswertes Buch über Wieland Wagner erschienen. Der Komponistenenkel räumte als revolutionärer Neuerer mit allem Dekorationskram auf, schuf Bühnenräume aus Licht, in denen er die hohe Schule der psychologischen Personenführung demonstrierte. Seine visionäre Ästhetik war weltweit stilprägend. Das haben spätere Regiezauberer nur in Ausnahmefällen geschafft.

Das Buch über Wieland Wagner (von Ingrid Kapsamer; Styria Verlag) sollte gelesen haben, wer heutzutage eine „zeitgemäße“ Ästhetik einfordert und sofort von „verstaubten“ Inszenierungen spricht, wenn ein Stück beim Aufgehen des Vorhangs zu erkennen ist oder gar sichtlich in jener Zeit angesiedelt ist, die im Libretto angegeben ist.

Jenseits von allen Diskussionen, wie eine „Erneuerung“ aussehen könnte, sollte, müsste: Ein Haus wie die Staatsoper ist kein Experimentierfeld. Wichtige Werke sollen über Jahre hin spielbar im Repertoire stehen.

Nicht umsonst sprachen Anfang der Neunzigerjahre Eberhard Waechter und Ioan Holender von „praktikablen Inszenierungen“. Die sogenannten progressiven Regisseure schaffen dergleichen selten. Es muss einen Grund haben, warum man sich seit Langem um die zentralen Opern mehrheitlich herumdrückt. Gab es doch bei wichtigen Versatzstücken eines traditionsbewussten Spielplans manche Havarie. Ein Stück wie Verdis „Troubadour“ ist seit der Premiere der Flakturm-Inszenierung István Szabós (1993) so unspielbar wie der „Macbeth“ von 2009.

Schwere Hypotheken hat die neue Direktion auch mit „Tannhäuser“, „Lohengrin“ oder „Manon Lescaut“ und der „Macht des Schicksals“ übernommen. Wie gefährlich der Ruf nach „Entstaubung“ ist, kann man aber auch bei Festspielen studieren, denen ja ein viel größerer Spielraum zukommt, weil sie Produktionen nicht „im Repertoire“ halten müssen.

Wer weiß noch etwas vom aktuellen Bayreuther „Lohengrin“, außer der Tatsache, dass Hans Neuenfels die Handlung unter Mäusen oder Ratten spielen ließ? Wer sang die Premiere? Wer hat sie dirigiert? In Wien spielt man gerade „Anna Bolena“, erkennbar; und jeder Musikfreund weiß die Besetzung – und wird sie sich merken.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2011)

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