Pianistenkunst in den USA: Kurz kurz statt Lang Lang

In die Schlagzeilen kommen Musikerinnen nicht unbedingt, wenn sie nur gut spielen, aber sicher, wenn sie dabei noch Miniröcke tragen.

In Zeiten, in denen die US-Bürger sich mehr denn je mit dem Thema Sexismus beschäftigen und im Ernstfall auch einmal prominente mutmaßliche Sexomanen aus einem startbereiten Flugzeug holen lassen, nimmt sich die Geschichte von der Aufführung eines Klavierkonzerts in der Hollywood Bowl besonders apart aus. Kürzlich schrieben die Gazetten in den Staaten ausführlichst darüber, nicht etwa, weil in der ganzen Nation plötzlich stark steigendes Interesse für spätromantische Musik konstatiert worden wäre, sondern weil die Interpretin dieser Musik sehr besonders gekleidet war.

Es ging um die Chinesin Yuja Wang. Genau genommen, ging es um ihr Kleid. Sehr eng anliegend. Und vor allem sehr kurz. Kürzer als kurz. Ob das noch zulässig sei, fragten sich die besorgten Kommentatoren.

Es könnte ja ein Minderjähriger sich ins Symphoniekonzert verirren und dann etwas zu genau schauen. Immerhin dauert das Konzert, das Wang in diesem Outfit spielte, das Dritte von Rachmaninow, eine gute Dreiviertelstunde!

Viel weniger ausgiebig wurde diskutiert, wie Yuja Wang gespielt hat. Oder vielmehr: dass sie überhaupt gespielt hat. Denn das Dritte, längste und kräfteraubendste der fünf pianistisch-symphonischen Werke Rachmaninows gilt als ausgesprochenes „Männerstück“. So viel Sexismus darf sein, denn die Aufführungsstatistik bestätigt, dass sich bisher außer der unverdrossenen Martha Argerich kaum je Damen an dieses einstige Schlachtross von Vladimir Horowitz herangewagt hatten.

Yuja Wang hat geübt. Mit ihren 24 Jahren ist die junge Dame aus Peking bereits im Besitz eines CD-Vertrags mit der Deutschen Grammophon und hat daselbst nicht nur viel über Vermarktungsstrategien gelernt, sondern auch mit niemand Geringerem als Claudio Abbado Rachmaninows Rhapsodie aufgenommen.

Alle, die ihr außerdem auch zugehört haben, wie der Rezensent der „Los Angeles Times“, konstatieren übrigens neben Bemerkungen wie „wären die Absätze noch höher gewesen, wäre das Pedalisieren gar nicht mehr möglich gewesen“ auch enorme Musikalität und das Vermögen, ein solches Werk ziemlich fehlerfrei zu absolvieren. Na immerhin, kann man da nur sagen und angeregt in den Saisonbroschüren blättern. Tatsächlich: Yuja Wang kommt auch nach Wien. Im Konzerthaus spielt sie – erraten, Rachmaninows Drittes. Bleibt nur die Frage: Was wird sie anhaben? Die Saison ist Miniröcken nicht förderlich: Das Konzert ist am 13.November.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2011)

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