Wer hat, dem wird gegeben

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gegen nationale Exklusivität von TV-Rechten könnte großen Sendern, Ligen und Vereinen nützen.

Wer die Schwachen schützen will, schlägt sich manchmal auf die Seite der Starken. So könnte nach dem Auslaufen des Jubelreflexes die Exegese eines EU-Urteils lauten. Vor vier Jahren wurde die britische Pub-Besitzerin Karen Murphy von der Premier League angezeigt, weil sie mit einem griechischen Decoder und eben nicht mit der wesentlich teureren BSkyB-Lizenz englischen Ligafußball zeigte. Der Streit landete vor dem Europäischen Gerichtshof. Der entschied Anfang Oktober im Sinn der EU-Freiheit des Dienstleistungsverkehrs für Murphy und gegen die Premier League und deren Exklusivvertrag mit dem Pay-TV-Sender.

Auf den ersten Blick handelt es sich nach dem Bosman-Urteil um den nächsten Schlag der EU gegen die Monopolwirtschaft im Fußball. Der belgische Profi Jean-Marc Bosman hatte 1995 recht bekommen, nach dem Ende seines Vertrages ablösefrei den Verein wechseln zu dürfen. Die Gesetze des Marktes griffen in das Geschäft mit Fußballern ein, hieß es, die Freiheit des Einzelnen werde geschützt. Und die kapitalstarken Ligen und Vereine boomten auf Kosten der Kleinen.

Murphys Urteil könnte einen ähnlichen Effekt nach sich ziehen. Denn die exklusive Gesellschaft der Pay-TV-Sender und der mittlerweile auf Gedeih und Verderb mit ihnen verbandelten Ligen werden nicht daran denken, die monopolistische Praxis der zentralen TV-Vertragsverhandlungen aufzugeben. Der mit dem Sport und dessen angemaßter Eigenständigkeit vertraute Anwalt Wolfgang Rebernig mutmaßt, dass Ligen und Sender vereinbaren könnten, Rechte nur mehr für den Heimmarkt zu vergeben. Und noch eine Illusion mag Rebernig nicht teilen, nämlich die von der Verbilligung der TV-Abos. Ein Wettbewerb um Fußballrechte, der die Abo-Preise senkt, ist unwahrscheinlich, viel eher werden es sich die Pay-TV-Sender untereinander richten.

Die Premier League erlöst gerade ein Zehntel der 3,5 Milliarden Pfund für den laufenden Dreijahresvertrag aus der Verwertung der Auslandsrechte. Darauf zu verzichten, macht weder Klubs noch Sender arm.

Oder die Premier League vergibt an BSkyB gleich die paneuropäische Lizenz. Solch große Brocken aber können nur TV-Konzerne wie Sky schlucken. Das heißt, die Quasi-Monopolisierung des Marktes geht von den Ligen auf die TV-Konzerne über. Attraktive Ligen gewinnen dadurch an Wert, kleine Bühnen wie Österreichs Bundesliga und kleine Sender wie der ORF, der sich keine international begehrten Rechte leisten kann, werden es eher billiger geben müssen. Bundesliga-Vorstand Georg Pangl will die Entwicklung einmal abwarten.

Der Aufstieg der Premier League hängt eng mit der Erhöhung der TV-Erlöse zusammen. Der EUGH-Spruch wird den Appetit der Medienkonzerne auf attraktive Ligen steigern, die englischen Topklubs brauchen sich also kaum Sorgen zu machen. Vertreter der Big Five (England, Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland) dominieren bereits jetzt die Champions League – und kassieren ab. Klubs aus Österreich und besonders aus Osteuropa werden künftig mit noch weniger Geld und Hoffnungen herumlaufen.

Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karlheinz Rummenigge sah im ersten Schock nach dem EUGH-Urteil „gefährliche Zeiten für den Profifußball“ voraus. Ja, schon, aber nur für die Gegner der Münchner Geldsäcke.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2011)

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