Heimat, deine Hymnen. Über ein belastetes Kulturgut.

Finden es die Grünen peinlich, wenn ihr oberösterreichischer Landesrat die Landeshymne mitsingt?

Es ist ein Kreuz mit den Hymnen. Die österreichische Diskussion über „Söhne und Töchter“ ist sogar für ein Sommerloch zu lächerlich. Wirklich arg aber hat es die Schweizer erwischt. Sie überlegen, ihre Hymne, den „Schweizerpsalm“, neu zu textieren. „Trittst im Morgenrot daher, Seh' ich dich im Strahlenmeer, Dich, du Hocherhabener...“ hebt er an, aber kecke Sänger machen daraus „Trittst im Morgenrock daher, mit dem Nachttopf voll und schwer...“. Derlei Persiflagen bleiben uns immerhin erspart.
Wenn es aber um Hymnen geht, erinnere ich mich unweigerlich an meine Volksschulzeit. Wir mussten den „Hoamatgsang“, die oberösterreichische Landeshymne, auswendig lernen: „Hoamatland, Hoamatland, di han i so gern! Wiar a Kinderl sein Muader, a Hünderl sein Herrn.“ Mir kam als Kind überraschend vor, dass unser Lehrer zwar auf korrektem Hochdeutsch bestand, uns aber plötzlich ein Lied in einer Mundart, die nicht mehr unserer Umgangssprache entsprach, beizubringen versuchte. Später dachte ich, dass ich mein oberösterreichisches Hoamatland zwar recht gern habe, dass ich es mir aber weniger streng wünsche als meine Mutter. Wiederum viele Jahre später fragte ich mich, ob ich mein Hoamatland wirklich so verehren solle wie ein Hund seinen Herrn? Tierischer Gehorsam gegenüber dem Staat erschien mir keine erstrebenswerte Tugend. Wir schrieben 1968.

Das größte Problem stellte für mich als Volksschüler aber der Textdichter Stelzhamer dar. In unserer kleinen Gemeinde lebte nämlich ein älterer Herr desselben Namens: Den hielt ich in meiner kindlichen Einfalt für den Verfasser der Landeshymne. Als Student las ich dann den wirklichen Stelzhamer. Kleinbauernsohn war er, Musterschüler, Wanderschauspieler, passionierter Kartenspieler, Biertrinker und Theologiestudent ohne Abschluss. Das Kaiserhaus pries er devot, und seine Lieder und Gesänge widmete er „ehrfurchtsvoll dem hohen oberösterreichischen Landtag“. Der finanzierte daraufhin sein Lebensende. Aber Stelzhamer dachte auch politisch. Zum Beispiel: antisemitisch. Wie ein roter Faden zieht sich Abfälliges über „die Hebräer“ durch sein Werk, die Juden, die sich überall vordrängten und die Bauern arm machten, denen man die Töchter noch weniger anvertrauen dürfe als den Türken, die Israeliten als leider „unumbringbares“ Volk, das „Großes nie getan“, als „Riesenbandwurm“, der „ewige Jud“, der das Vaterland aussauge. Stelzhamer: „Die Völker opfern Gut und Blut für Fürst und Vaterland; der Jude sieht zu, zufrieden, dass er heute oder morgen, da oder dort seinen Bandwurmrüssel anlegen kann und – saugen.“

Es spricht für den oberösterreichischen Landeshauptmann, dass er bei offiziellen Anlässen mehrmals auf die „dunklen Seiten“ Stelzhamers hingewiesen hat. Neugierig wäre ich aber, ob auch der grüne Landesrat Anschober die Hymne des Antisemiten Stelzhamer mitsingt? Wie er sich dabei fühlt? Haben nicht die Grünen anderswo recht konsequent gegen missliebige Straßennamen, gegen Ehrengräber, Lueger, Kernstock, das Heldentor, den Fußballer Sindelar und die Wiener Philharmoniker Front gemacht? Und was sagt die grüne Parteivorsitzende zu einem Textdichter, dem 1848, als die Frauen begannen, sich ihrer Rechte zu entsinnen, folgende Verse einfielen:

„Sogar d' Weiba, stattn Stricka, / Und Flicka und Hauswesenführn / Möchten mitnationälern / und politisiern. / Du Krisperl (= Krispinderl), du krautigs! / Du fantràdo (= unsinnig plappernde) Frau! / Geh haim und rühr's Koch um, / Sunst kummt da Wauwau!“ Der Hund solle also die Frauen an den Herd zurückjagen.

Wäre es nicht besser, auf solche Poeten zu verzichten? Hymnen eignen sich ohnehin nicht zur Hebung des Patriotismus, schon gar nicht, wenn sie von einem Antisemiten und Frauenfeind stammen. Ein Freund hat mich darauf hingewiesen, dass die Spanier mit einer Hymne ohne Worte auskommen. Auch in den österreichischen Schulen wäre es klüger, die Kinder zu erziehen als sie mit unsinnigen Texten zu quälen.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit Anfang des Jahres ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2014)

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