Neues von der Insel der Seligen Ö-NORM schlägt Krim-Krise

Das Austrian Standards Institute will endlich das Binnen-I abschaffen, kämpft aber gegen feministische Windmühlen.

Auch das Organ der Republik – ich meine die von mir durchaus geschätzte Staatszeitung, die längst schon eine ganz normale und überaus lesenswerte geworden ist – hat nun jenes Thema entdeckt, das in den letzten Tagen alle Printmedien erobert hat. „Das Binnen-I steht seinen Mann“ lautet der fünfspaltige Titel eines seitenlangen Artikels. Und weiter: „Heftige Kritik am ,antifeministischen‘ Vorschlag zur geschlechtergerechten Sprache“. Unsere Sorgen möchten wir haben!

Sorgen in der Tat. Aber da sich letzthin auch „Die Presse“ mit dem offenbar umstrittenen Vorschlag des Austrian Standards Institute befasst hat, die von krankhaften Feministinnen der geschriebenen Sprache aufgezwungene „Gendergerechtigkeit“ nicht zu befolgen, darf ich solches mit dem Hinweis ergänzen, dass bei all dem viel zu wenig nachgedacht worden ist. Hätte man dies getan, wäre man – und dies ist nicht einmal nur spaßhaft gemeint, sondern ist das Produkt langen Nachdenkens – zu überaus skurrilen Fakten gekommen, die nur der deutschen Sprache eigen sind.

Da ist einmal – Feministinnen, gebt acht! – das Wort Mensch, das je nach dem Artikel verschieden gebraucht wird. Der Mensch ist etwas anderes als das Mensch. Dieses, offenbar ein werdender Mensch, vielleicht mädchenhaft, jedenfalls echt menschlich und keinesfalls negativ betrachtet, ist also sinngemäß eine offenbar intensivere Form des Menschen; die „Menscherkammer“ in bäuerlichen Gegenden demnach ein Zimmer, wo die echten Menschen zusammenkommen.


Man kann auch argumentieren, dass man, wie manche Feministinnen sagen, eine unheilvolle Ähnlichkeit mit Mann hat. Andere haben das nicht. Im Französischen heißt es „on“, und einem On dit zufolge wäre man (pardon: Mann) nicht unzufrieden, würde sich das Deutsche durch eine ähnliche Wortprägung gender-neutral benehmen. Wobei zu bemerken ist, dass das Englische offenbar längst die geschlechtliche Unbefangenheit auch in der Wortwahl akzeptiert hat. One thinks – nein, nicht einer, sondern alle. Eben: man denkt. Und wenn es darum geht, ein Auditorium anzureden, ist es nicht einmal notwendig, „Ladies and Gentlemen“ zu sagen. „Hi, folks!“ genügt in vielen Fällen.

Nicht so bei uns. Hier sind die „Damen und Herren“ noch immer gang und gäbe – auch wenn die Damen keine sind und man auch die Herren suchen muss. Ich kann mich an die Rede eines sozialdemokratischen Politikers (nein, es war kein Wiener) erinnern, der sein Publikum mit „Sehr geehrte Frauen und Männer“ apostrophiert hat – und er hat es ernst gemeint. Da wäre mir lieber gewesen, er hätte „Liebe Leute“ gesagt. Ein Wort, das im Übrigen ein Pluraletantum ist. Eine Einzahl gibt es nicht. Es wird ja auch oft „Die Leut'“ gesagt. „Die Leut'“ – damit sind alle gemeint. Auch du und ich.

Die Leut'. Die Menschen. Männer und Frauen, Machos und Feministinnen und auch ganz normale. Jene Menschen und Menscher, Damen und Feministinnen, die jetzt die Bitte der Ö-NORM-Leute bekämpfen, doch auf das ominöse Binnen-I zu verzichten, wissen freilich, warum sie das tun. Das Binnen-I wird nicht ausgegesprochen. Es gibt demnach zur Freude der Feministinnen nur Hörer-innen. Was ist die Krim-Krise angesichts von Erwägungen dieser Art? Auf der Insel der Seligen hat man andere Sorgen.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


Emails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2014)

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