Was in Köln zu Silvester geschah, lässt Gutmenschen verstummen

Der angepatzte Stardirigent und kein Ehrendoktorat für den Nobelpreisträger: Unsere Sorgen möcht' ich haben!

Kennen Sie den? Der Rabbi sitzt in den ersten Strahlen der Morgensonne und klärt. Und dann sagt er: „Wie schön die Sonne aufgeht im Osten!“ Und er klärt weiter und sagt: „Untergehen tut sie im Westen!“ Und er klärt weiter und sagt: „Deswegen heißt das Morgenland Morgenland und das Abendland Abendland!“

Der Rabbi klärt weiter und sagt: „Was wäre, wenn die Sonne möcht' aufgehen im Westen und untergehen im Osten?“ Und er klärt weiter und sagt: „Wenn die Sonne aufgehen möcht' im Westen und untergehen im Osten, dann möcht' das Abendland heißen Morgenland und das Morgenland Abendland!“ Und der Rabbi klärt ein letztes Mal und sagt: „Meine Sorgen möcht' ich haben!“ Ein guter jüdischer Witz, nicht wahr? Wir haben ihn oft in der Redaktion zitiert.

Es ist ja an der journalistischen Tagesordnung, die Sorgen der Öffentlichkeit aufzugliedern. Jüngst war es wieder so weit. Gerfried Sperl befasste sich im „Standard“, dem antifaschistischen rosaroten Qualitätsblatt, mit früheren bürgerlichen Präsidentschaftskandidaten: Leopold Schönbauer, Lorenz Böhler, Wolfgang Denk. Sie waren, zitiert er, alle Nazis. Was er nicht schrieb: Sogar Adolf Schärf hat eine arisierte Anwaltskanzlei übernommen. Aber dieser kam von links. Und er wurde Staatsoberhaupt.

Unsere Sorgen möcht' ich haben! Dass die Salzburger Universität keine größere hatte, als einem der berühmtesten österreichischen Wissenschaftler, dem Nobelpreisträger Konrad Lorenz, jüngst das Ehrendoktorat abzuerkennen, weil er Erbbiologe und „Rassenkundler“ gewesen sein soll, gehört in diese Kategorie der Dummheit. Dass der weltberühmte Stardirigent Clemens Krauss jetzt auch als Nazi angepatzt wird, ist gleichfalls ein Teil dieser kulturpolitischen Trotteleien.


Wilhelm Sinkovicz hat solche „Attacken von notorischen Querulanten“ zu Recht vernichtend gerügt. Ein drittes Mal: Unsere Sorgen wollen wir haben! Dabei haben wir wichtigere, alarmierendere in den Medien, die freilich vom Klüngel der Gutmenschen nicht nur in Zeitungen und vor allem im ORF, sondern auch von etlichen Politikern verschwiegen werden: Dass die drei Wörter „Wir schaffen das“ zu den größten Idiotien der letzten Jahre gehört haben. Wir haben geschafft, dass zu Silvester zahlreiche Frauen beraubt und missbraucht wurden. Von jungen Männern „mit Migrationshintergrund“. Aber das sollte weder gemeldet noch geschrieben werden.

Es sei, wurde erklärt, erst der Anfang. Wirklich? Was sagen dann jene Spitzenpolitiker der SPÖ, die vehement dagegen auftreten, dass die österreichische Asylpolitik überhandnimmt, und dass es eine Höchstzahl für Grenzübertritte geben müsse? Das, was sich am Silvesterabend in Köln zugetragen hat, wird von vielen als Menetekel betrachtet. Von vielen, nicht von allen. Noch immer gibt es viele, vor allem in den „liberalen“ Medien, die beharrlich behaupten, Flüchtling sei Flüchtling, und die nicht einsehen wollen, dass die überwiegende Mehrheit nicht Angst hat, sondern ein besseres Leben will. Und dazu gehört offenbar auch, sich frei zu bedienen – wo, bei wem und wie auch immer.

Immer schon hat eine Diskrepanz zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung geherrscht. Es ist anzunehmen, dass in den nächsten Wochen aufgrund der Vorfälle nicht nur in Deutschland dieser Abgrund noch tiefer werden könnte. Aber ob es unter den Gutmenschen genügend Brückenbauer gibt? Zweifel sind geraten. Unsere Sorgen werden größer.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
Emails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2016)

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