So wahr uns Gott helfe? Politik auf neuen Wegen

Neues vom Kölner Domplatz: Wenn der Kardinal von einem Flüchtlingsboot aus Malta die Menschen segnet.

Jetzt kennen wir also das amtliche Endergebnis der Bundespräsidenten-Stichwahl vom 22. Mai. Alexander Van der Bellen erhielt 2,251.517 Stimmen, Norbert Hofer 2,220.654. Arschknapp (© VdB). Und zum ersten Mal ist dieses gewählte Staatsoberhaupt nicht von einer Partei nominiert worden, die in der Regierung vertreten ist, sondern von einer der Opposition. Das wär's – vorläufig.

Die Dritte Republik, deren Ära wir soeben betreten haben, hat noch etliches Zusätzliches zu bieten, das zum Nachdenken anregt, besser noch: zwingt. Da ist einmal die von manchen Medien und von Teilen der öffentlichen Meinung geäußerte Überzeugung, dass zum ersten Mal in diesem Staat nicht nur der Regierungschef, sondern auch der Präsident der Republik politischen Flügeln angehören, die man ohne Übertreibung als nicht Mitte-links bezeichnen könnte, wie es etwa Heinz Fischer war, sondern links-links. Beim neuen Bundespräsidenten hat man es ahnen können: in der Jugend Kommunist, im gesetzteren Alter bekennender Sozialdemokrat, schließlich nicht minder bekennender Grüner. Man ist fast versucht, Norbert Hofer, den Unterlegenen, zu zitieren: Ihr werdet euch wundern, was noch alles möglich ist. Oder passieren wird?

Der neue Bundeskanzler wieder gehört, wie sich nun ergeben hat, angeblich dem linken Flügel der SPÖ an. Er sieht gar nicht so aus, ist, wie man hören kann, ein ganz guter Redner, versteht sich anzuziehen, ist eben ein Sozialist im Nadelstreif. Ein Roter im Zweireiher. Ein Rot-Roter?


Van der Bellen hat wenig überraschend die Frage, ob er bei der Angelobung „so wahr mir Gott helfe“ sagen werde, so knapp verneint, dass man glaubte, er erachte dies für eine Zumutung. Christian Kern ist gar nicht gefragt worden. Der Liebe Gott bleibt aus dem Spiel, auch wenn dieses nach ermutigendem, aber kurzem Kern-Mitterlehner-Auftakt immerhin die Möglichkeit (oder Hoffnung?) offen ließ, es werde einen positiven Verlauf nehmen.

Nichts da! Dass ein Versprechen eines, ein Versprecher etwas ganz anderes ist, mag mit den Tücken der deutschen Sprache zusammenhängen. Auch Politiker können sich versprechen, wenn sie etwas anderes sagen, als sie versprochen haben. Irren ist menschlich, und Politiker sind Menschen. Es ging um Asylwerber.

Aber da sind wir wieder beim Lieben Gott – und der Tatsache, dass die Dritte Republik nicht zuletzt auf einer Reihe von Irrtümern ruht. Etwa, dass „die Menschen draußen“ (© Kreisky) VdB die Mehrheit gegeben haben, weil sie politisch „angefressen“ sind. Hofer hätte „arschknapp“ gewinnen können. Aber in der Innenpolitik sind manchmal eben auch Viertelprozente entscheidend – die Säkularisierung des Staates macht sich nicht zuletzt bei Wahlen bemerkbar. Man merkt sie gelegentlich auch auf der Straße. Dass die Apotheke, die seit urdenklichen Zeiten Mutter Gottes Apotheke hieß, weil sie eine Pfarrkirche zum Gegenüber hatte, nun Sonnenhof-Apotheke heißt, da sie an der Ecke der gleichnamigen Gasse liegt, mag nicht antikatholisch gemeint sein. Aber da die Kirche gelegentlich skurrile Wege beschreitet, um zu zeigen, dass alle Religionen (und wahrscheinlich auch der Atheismus) gleiches Gewicht haben, ist für manche verwirrend. Kardinal Woelki hat von Malta ein Flüchtlingsboot nach Köln bringen lassen, um von diesem Gefährt den Fronleichnamssegen zu spenden. Was auf dem Domplatz in der Silvesternacht passierte, ist längst vergessen.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2016)

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