Merk's Wien: Wo ist es hip im Sommer 2016? Egal: Wir schaffen das schon!

Shakespeares „Richard III.“ und das politische Weltklima: Die Liste der sicheren Ferienziele wird immer kürzer.

Dieser Sommer hat es in sich. Im Juli wechselten Perioden schwüler Tropenhitze mit solchen der Eiseskälte – für Normaltemperaturempfindliche jedenfalls. Man fühlte sich wieder im Literaturunterricht des Gymnasiums – oder an eine Aufführung von Shakespeares „Richard III.“ im Burgtheater erinnert: „Now is the winter of our discontent made glorious by the sun of York.“ An der Burg hört man es auf Deutsch: „Nun ward der Winter unsers Missvergnügens glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks.“

Der Sommer 2016 ist einer ganz eigener Art. Schwitzen wird durch Frösteln abgelöst und dann wieder durch Schweiß. Das fängt schon bei den Urlaubszielen an. Wien scheint nach wie vor in zu sein, oder hip, wie es bei den Jungen heißt, auch bei den jungen Touristen. Wenn der Eindruck nicht täuscht, wird die heurige Urlaubssaison einige Rekorde schlagen. Leider auch, was die Unwetter betrifft. Dass etliche Fremdenverkehrsorte durch Blitz, Hagel und Flut verwüstet wurden, hat es in diesem Ausmaß noch selten gegeben. Das Wetter ähnelt dem politischen Weltklima.

Aber es gibt kein Balkonien auf der Erde. Die Reisebüros, gefragt, wo man außerhalb Österreichs heute noch halbwegs sicher seine Ferien verbringen könne, antworten mit Achselzucken. Die beliebtesten Tourismuszentren von ehedem locken mit leeren Stränden, weil der Aufenthalt dort gefährlich wurde.

Afrika können wir streichen. Der Norden des Kontinents ist unruhig, auch Tunesien ist nicht mehr das, was es einmal war. Ägypten, einst eines der beliebtesten Ferienländer, kann man zu Schnäppchenpreisen buchen. Nilkreuzfahrten sind kaum mehr gefragt. Kenia war eine der gesuchtesten Destinationen, ist es aber heute nicht mehr. Der Rest des Kontinents ist für Abenteuerlustige interessant, für Erholungssuchende kaum.

Aber wir schaffen das schon, nicht wahr, Frau Merkel? Wir fahren nach Griechenland und klammern allfällige Flüchtlingsinseln aus. Dafür unterstützen wir finanziell die notleidende hellenische Wirtschaft. Wir stehen, wenn es notwendig ist, stundenlang an der italienischen Grenze, vor allem in der Hauptreisezeit. Wir freuen uns, dass es den Franzosen so gut geht, dass der Friseur des Staatspräsidenten 10.000 Euro monatlich kassieren darf. Aber dafür muss er dauernd parat stehen. Vielleicht, um Hollandes Grauhaar zu färben? Der Massenmord in Nizza bleibt lang in Erinnerung.

Doch da ist noch immer der Osten der EU. Zumindest vorläufig liegt in touristischer Hinsicht nichts vor, was etwaige Ferienvergnügungen hindern könnten. Es sei denn, man wundert sich über die jüngsten militärischen Schritte der Nato, die jetzt auch das Baltikum unter ihren Schutzschirm bringt.

Das Heiß-kalt-Klima dieses Sommers hat ja auch die Ost-West-Beziehungen erfasst. Nein, von einem neuen Kalten Krieg darf man um Gottes willen nicht reden. Aber es gibt immer mehr Beobachter in Europa, die kein Verständnis dafür aufbringen, dass Washington nach wie vor tiefes Misstrauen gegenüber Moskau hegt. Der Staatsbesuch, den Bundespräsident Fischer im Kreml abstattete, ist demnach vom Westen nicht begrüßt worden. Aber jetzt hat London ja eine neue Ministerpräsidentin – eine Pastorentochter wie Angela Merkel. Sie hat einen Politiker, der verschrien ist wie Donald Trump, ausgerechnet zum Außenminister gemacht. Es kann uns daher nichts mehr passieren. Kopf hoch, Wien!

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.

E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2016)

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