Ein Spaziergang wie in Oman: Das Tourismusamt ist schuldlos

Was dem einen lästig ist, verursacht anderen Heimweh: Betteln hat in Wien über den Sommer zugenommen

Sie sollen sich so richtig zu Hause fühlen, unsere Gäste aus den arabischen Ländern. Die Damen vor allem. Sie sollen sich nicht durch die von vielen als überflüssig bezeichneten, von manchen auch Quertreibereien genannten Forderungen irre machen lassen. Auf den Niqab zu verzichten. Oder gleich auch auf die Burka. Was der Unterschied ist, weiß man in Wien nicht. Also jedenfalls runter mit dem Schleier, wie dicht er auch sein mag. Was brauch' ma des! Wir gehen ja auch nicht die ganze Zeit in der Lederhose herum!

Aber sind wir nicht ein Land, das den Fremdenverkehr schätzt? Lieben wir nicht die Abwechslung, die uns der Tourismus bringt, vor allem jener, der uns Geld bringt? Er hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen und wird immer lukrativer. Die Nobelhotels leben davon, es kann gar nicht genug davon geben. Egal also, ob Niqab oder Burka oder Schleier – oder ein ganz einfaches Kopftuch: Wir sind Menschen, die wissen, was wir den Gästen schuldig sind.

Sie sollen sich wie daheim fühlen. Wie im Oman oder in den arabischen Emiraten. Sie sollen das Gefühl haben, zu Hause zu sein. Sie sollen glauben, Leuten zu begegnen, die nicht in arabischen Ländern, sondern in der Wiener Innenstadt leben. In der Kärntner Straße vor allem. Allerdings nicht unterwegs. Sie sitzen am Straßenrand. Gelegentlich kauern sie auch in einer Einfahrt. Bisweilen schläft ein Hund zwischen ihren Beinen.


„Ich habe Hunger“ steht oft auf einem selbst geschriebenen Schild. Wer damit gemeint ist, weiß man nicht. Auch das Alter der Leute ist verschieden. Etliche sind ganz jung. Manche sind alt. Einer liegt ausgestreckt mitten auf dem Asphalt. Ein anderer sitzt zitternd auf dem Pflaster. Alle haben sie einen Plastikbecher vor sich stehen.

Und sie werden immer mehr. Fast hat man den Eindruck, als ob das Fremdenverkehrsamt sie organisiert hat, um die arabischen Besucher an ihre Heimat zu erinnern. Dann aber wieder muten sie an wie Menschen, die in Autobussen an die Grenze kommen und abends wieder eingesammelt und abtransportiert werden: Leute, die betteln. Menschen, die angeblich obdachlos sind. Angeblich. Und die immer zahlreicher werden.

Die Bettler und Bettlerinnen haben sich vermehrt. Sie sind in Wien seit dem Frühjahr – damals ist es mir aufgefallen, und ich habe darüber geschrieben – zweifellos noch mehr geworden, zum Unterschied von anderen Städten, wo man sie seltener sieht. In manchen sind sie überhaupt verschwunden, weil das Betteln dort nicht gestattet ist. In der Kärntner Straße und ihrer Umgebung zählte ich jüngst nicht weniger als ein rundes Dutzend vermeintlich Bedürftige, die mit geöffneten Händen Almosen erheischten.

Und doch ist im selben ersten Wiener Gemeindebezirk – „I. Stadt“ steht auf den Straßentafeln, von denen etliche zugleich mit den frisch gestrichenen Hausfassaden neu montiert wurden – ein Schwund von Geschäftslokalen feststellbar. Dem Zuviel an Bettlern steht ein zunehmendes Minus an Läden gegenüber, und immer häufiger steht in den Auslagen das Wort „Sale“, bisweilen „Totaler Abverkauf“ zu lesen. Einem Überfluss an Bettelei steht ein Mangel an Geschäften gegenüber. Ist das die Sorge der City? Hinzu kommen dann noch die immer häufigeren Demonstrationen, die vor allem an Samstagen den Geschäftsgang stören.

Den Bettlern ist es egal. Sie ziehen sich am Abend wieder zurück.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2016)

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