„Die Beteiligten“ oder: Was auf Tempel und Burgtor steht

Wer ist schon Natascha, wenn längst Arigona & Co. aktuell sind? Die üblichen Unverdächtigen und ihre Treibjagd auf Maria Fekter.

Frau K. ist intelligent, aufgeweckt und politisch interessiert. Ich weiß es, da ich sie seit vielen Jahren kenne. Über die Innenministerin hat sie ihre eigene Meinung, und die ist, wie sie mir neulich sagte, zu 90Prozent positiv. Und die restlichen zehn Prozent? Sie falle neuerdings zu oft um, sagt meine Gewährsfrau.

Stimme des Volkes? Oder Stimme der Vernunft, die sich nicht immer, aber diesmal ausnahmsweise doch mit der des Volkes trifft? Selten noch hat es eine derartige Diskrepanz gegeben zwischen der sogenannten veröffentlichten Meinung, sprich: jener der Medien, und der öffentlichen, jener „der Menschen draußen“. Jawohl, es geht wieder einmal um das leidige Problem der illegalen, demnach – sagen wir es offen – eingeschlichenen Asylanten.

Natascha Kampusch gehört nicht dazu. Ihre Causa ist durch die jüngsten Abschiebungsfälle an Medienecho überholt worden. Trotzdem habe ich mir neulich „Die Beteiligten“ im Akademietheater angesehen. Ein Kampusch-Stück, ein dummes Stück, ein unverständliches Stück. Aber genau zu dem Zeitpunkt auf den Spielplan gesetzt, da sich wieder herausgestellt hat, dass an der Story, im als Biografie ausgegebenen Märchenbuch der jungen Frau geschildert, offenbar vieles nicht stimmen dürfte.

Die Medien waren trotzdem angetan. Aber was war denn Natascha, verglichen mit den Kindern – von Arigona bis zu den Zwillingen und anderen, deren Geschichte wieder einmal zeigte, dass es schwierig ist, gegen den Strom zu schwimmen? Seine Wellen werden vom Boulevard und vom ORF gespeist. Vom NGORF. Er hat sich offenbar den Nichtregierungsorganisationen angeschlossen.


Er hat, wie der Chefredakteur dieser Zeitung vor Kurzem in einem Leitartikel geschrieben hat, die Kritik, die, wie man weiß, sich auf Maria Fekter konzentriert hat, „durch rührseliges Bild- und Tonmaterial untermauert“. Richtig! „Würde jemand über einen Asylwerber so sprechen wie die Herren Chalupka, Patzelt, Landau und Küberl über die Innenministerin, müsste er mit der vollkommenen Ächtung durch die üblichen Unverdächtigen rechnen.“ Doppelt richtig, auch wenn „die üblichen Unverdächtigen“ aufjaulen. Darf ich sie als „Gutmenschenmafia“ bezeichnen, weil sie ja „Sozialpornografie“ offenbar gutheißen? Dreifach richtig– auch wenn das Wort manch einem nicht gefällt.

Ihnen gefällt ganz bestimmt auch nicht, was die deutsche Bundeskanzlerin Merkel vor den Fernsehkameras sagte: „Multikulti ist gescheitert.“ Sie hat sich in überraschender Auffassungsänderung augenscheinlich auf Thilo Sarrazins Bestseller bezogen. „Deutschland schafft sich ab“ ist, wie man erfährt, das meistverkaufte Sachbuch seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber die veröffentlichte Meinung ist anders. Sie trommelt. Und ich muss (zum wievielten Male eigentlich?) zitieren, was über dem Apollo-Tempel in Delphi stand:
. Von nichts zu viel. Auch wenn dies bedeutet, die Treibjagd auf die Innenministerin abzublasen.

Und weil wir gerade bei Inschriften sind: Über dem Burgtor an der Wiener Ringstraße steht „Iustitia regnorum fundamentum“. Was heißt Iustitia? Recht, Gerechtigkeit – oder auch Gesetzestreue? Gewiss, die alten Römer sagten „Summum ius, summa iniuria“. Recht kann auch ungerecht sein. Zwischen beiden Fakten muss die Innenministerin durchlavieren. Frau K., die zu 90 Prozent mit ihr einverstanden ist, wünscht ihr sicherlich viel Glück.


Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2010)

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