Bei Waldheim im Kino

Die Jugendlichen in der Reihe vor mir.

Samstagabend im Gartenbaukino. In der Reihe vor mir fast nur Jugendliche, die zwei Stunden ihrer Freizeit opfern, um „Waldheims Walzer“ anzusehen. Ich überlege kurz: Die Handlung spielt 1986 und ist für sie Geschichte, wie für meine Generation eine Dokumentation über das zerbombte Wien von 1945. Eine fremde Welt, selbst die Eltern dieser Kinobesucher waren damals noch jung.

Die Jungen vor mir sind konzentriert, gelegentlich kichert einer, wenn Kleidung, Tonfall, Sprache gar zu weit weg sind von der Gegenwart. Doch insgesamt macht die Regisseurin des Films genau das, was sie auch bei allen möglichen Fällen eigentlich rund um die Uhr machen: Sie filmt und fotografiert, was um sie herum abläuft. Es ist ein Wahlkampf in Österreich, im Frühsommer 1986. Der Unterschied: Die Bilder sind mitunter viel mehr verwackelt als bei heutigen Handys, denn man arbeitete damals mit einem tragbaren Videogerät, es war mit einem Rekorder verbunden, der über der Schulter hing. Dazu kamen das Gedränge von Wahlveranstaltungen und eine aufgeheizte Stimmung, wenn die braunen Flecken in unserem Land zur Sprache kamen. Wut und Hass in den Gesichtern, die Jungen flüstern: „Trump“ und „Fake News“.

Die Bilder waren auch wirklich irritierend. Viele Österreich trugen damals noch Lodenmäntel, Hüte mit Gamsbart, man sang bei Wahlveranstaltungen zuerst die Bundeshymne und dann die jeweilige Landeshymne, der Redner auf dem Podium, der Kandidat, wirkte wie ein langweiliger Beamter und sprach auch so, die Distanz zu der Landbevölkerung da unten war mit Händen zu greifen, da mochte er seine langgliedrigen Finger noch so oft wie ein Umarmungssüchtiger ausstrecken. Es erschien absurd, dass man diesem so fremden Mann nach seiner Rede zujubelte.

Dann die offenen Wutausbrüche gegen die politischen Gegner. Die Jungwähler, die den Wahlkampf Van der Bellen gegen Hofer erlebt und vielleicht die Spaltung der Gesellschaft selbst mitempfunden haben, merken jetzt: Das war gar nichts gegen die Risse, die damals Österreich spalteten. Und wenn sie nicht gewusst hatten, wer Hugo Portisch ist, wissen sie es jetzt: Er lieferte damals als erster im Fernsehen eine glasklare Analyse über Täter und Opfer, wie sie heute in allen politischen Handbüchern steht.

Angeblich braucht es ja drei Generationen, um eine schlimme Zeit in der Geschichte eines Landes aufzuarbeiten. Die erste Generation verteidigt ihr Handeln auf Biegen und Brechen, sie war hier zu sehen. Die zweite Generation führt die Anklage, sie, die Vertreter einer Zivilgesellschaft, machten sich erstmals bemerkbar. Und die dritte Generation ist diejenige, die daran interessiert ist, wie es wirklich war. Sie saß diesmal im Gartenbaukino.

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