Unser Herr Nigerl

Der Herr Nigerl, den unser genialer Kollege Eduard Pöltzl (1851–1914) vor hundert Jahren so humorvoll gezeichnet hat– er ist natürlich nie gestorben.

Der Herr Nigerl des Jahres 2014 ist mindestens ebenso grantig, wie er gemütlich sein kann, trägt den weißen Schnurrbart ebenso wie seinen Embonpoint stolz vor sich her, manche nennen's Backhendlfriedhof. In der Oberstufe schlug er wacker Mensuren in seiner nationalen Studentenverbindung (als Stadtschulrat-Vizepräsident wäre er wohl nicht durchgegangen). Aber er näherte sich bald einer Mehrheitspartei, und das half bei der Karriere. Freilich hatte unser Herr Nigerl immer nur eine sehr relative Mehrheit in der Wienerstadt, rechnet man die Nichtwähler dazu. Also sah er sich genötigt, im gesetzten Alter seine bisherige Haushälterin zu ehelichen. Und er glaubte an einen harmonischen Lebensabend. Ja, Schnecken! Die frischgebackene junge Gesponsin versperrte ihm den Weinkeller, versteckte den Schlüssel, kürzte ihm das Tabakgeld, machte ihm das Leben auf Schritt und Tritt sauer. Abends fragte sie: „Wo gehst du hin?“ Morgens fragte sie: „Wo kommst du her?“ Nigerl ward immer grantiger. Jetzt denkt er tatsächlich an Scheidung, an ein ruhiges Singledasein im Seniorenheim der Stadt Wien. Da halten wir jetzt. Nächstes Jahr werden wir mehr wissen. Spätestens im Herbst.

Reaktionen an: hans-werner.scheidl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2014)

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