Kleines Kabinett

"Bitte, treten Sie ein, nach Ihnen."

Die Maklerin zeigt dem Glatzköpfigen nur zu gern die Wohnung in bester Innenstadtlage. Denn der Bewerber hat zu erkennen gegeben, Geld spiele für ihn keine Rolle. Von wo das herkomme, brauche die Vermittlerin nicht zu interessieren. Ein bissl zu patzig tritt er auf, denkt sie sich. Vielleicht kommt er aus der Provinz in die Millionenstadt...

„Und hier zusätzlich noch das Kabinett!“ Sie öffnet schwungvoll die Tür, doch der betuchte Käufer dreht sich auf dem Absatz um: „Viel zu klein, dös Kabinett!“ – Wie bitte? – „Zu klein, viel zu klein. Wie soll ich da sechzig Personen hineinkriegen?“ – Heiliger Bimbam, was hat dieser Schnösel nur vor? Sechzig Leute! In ein Kabinett! Ein Menschenhändler? Ein Schlepper?

Sie schaut, dass sie den offensichtlich Verwirrten so schnell wie möglich loswird. Die Einladung zu einem zweiten Rendezvous schlägt sie entsetzt aus. In der U-Bahn liest sie von einem Putsch des Verteidigungsministers gegen den Generalstab. Sechzig Herren in leitender Position nimmt sich der Minister in sein persönliches Kabinett, das wie bisher in bewährter Weise von einem früheren Lokführer geleitet wird. Sechzig Leute in einem Kabinett! Da kann keine Maklerin mithalten. Aber sie denkt sich ihren Teil. (hws)

Reaktionen an:hans-werner.scheidl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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