Advent, Advent

Freund H. ist ein Muster an stoischer Ruhe. Normalerweise. Nichts bringt ihn in Wallung, selbst sein chaotisches Familienleben mit einer Ex, einer derzeit Angetrauten, einer Freundin und vier Patchwork-Kindlein überblickt er mit Wohlgefallen.

Neulich, im Kaffeehaus, sitzt mir da einer gegenüber, den ich so nicht gekannt habe. Verhärmte Züge, fahle Hautfarbe, zitternde Hände, die Wangen eingefallen, die Finger nikotingefärbt, schrecklich. „Was ist mit dir, Franz Xaver?“ – „Da fragst Du noch? Der 2. Dezember ist heute. Muss ich mehr sagen?“ – ??? – „Es ist zum Wahnsinnigwerden. Jetzt schick' ich schon Anfang Dezember meine Weihnachtspost weg, diese 2468 Karten mit den besten Wünschen für gesegnete Weihnachten und viel Erfolg blablabla . . . Interessiert zwar keinen Menschen, ist aber notwendig fürs Geschäft. Immer war ich der Erste mit meinen Wünschen. Und jetzt ---“

Ein Weinkrampf schüttelte den Bemitleidenswerten, die Kaffeetasse klirrte, „und jetzt kommt mir dieser Künzel zuvor und schickt mir ein Weihnachtsbillet. Am 1. Dezember! Ich sehe ihn direkt vor mir, wie er mit hämischem Grinsen seine Karten auf die Post gebracht hat, mit dieser schiachen krakeligen Unterschrift. Aber ich hab's erkannt. Dieser impertinente Schnösel. Nächstes Jahr wird zurückgeschossen. Im August.“ (hws)

Reaktionen an: hans-werner.scheidl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2015)

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