Wertevermittlung, Lektion 1

Wer herein will, sollte schon auch eher nett sein. Damit kommt man weiter.
Wer herein will, sollte schon auch eher nett sein. Damit kommt man weiter.Clemens Fabry
  • Drucken

Wenn wir heute schon eine Wertediskussion führen und uns fragen, was wir denn so vermitteln könnten: Dann etwa zumindest, wie man sich in Öffis benimmt. Das wär einmal ein Anfang.

Wien, U3, Station Schlachthausgasse, vorigen Freitag, circa 9.30 Uhr, ganz am hinteren Zugende. Da sind nicht allzu viele Passagiere. Das Abfahrtssignal tönt, die Türen gehen zu. Im letzten Moment stürmt von hinten ein Rudel junger Männer heran, Burschen um die 20 und jünger. Ihre Körper erscheinen durch die letzte Fensterscheibe des Waggons, man hört Schuhe scharren, Flüche. Zwei Typen wollen die Tür aufreißen, hängen sich förmlich daran, vergeblich. Der Zug rollt los. Jetzt hämmern viele Fäuste brutal gegen Fenster und Tür, treten Füße gegen Glas und Metall. Eine Flasche zerbirst. Geschrei, Flüche, in fremder, unverständlicher, kehliger Sprache. Passagiere drehen sich um und schauen erschrocken auf die Belagerer und ihren Gewaltausbruch. Aber der Zug hält nicht mehr, und die Zuseher drin sind sichtlich froh. Im allerletzten Sekundenbruchteil formt das Gesicht eines Milchbarts einen halben Meter vor dem letzten Zugfenster einen spitzen Mund. Darin erscheint wie in Zeitlupe eine weißlich schimmernde Perle, löst sich von den Lippen und fliegt in elegantem Bogen, bis sie auf das Glas klatscht und als klebrige Träne zäh herabrinnt. Noch eine Station später pickt sie da.

Also wenn wir heute schon eine Wertediskussion führen und uns fragen, was wir denn so vermitteln könnten: Dann etwa zumindest, wie man sichin Öffis benimmt. Das wär einmal ein Anfang. (wg)

Reaktionen an:wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.