Meinung Zum Tag: Türkei: Zu wichtig für Diplomaten?

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ngesprochen auf die Beden ken von Agrarkommissar Fischler gegenüber einer EU-Mitgliedschaft der Türkei meinte Martti Ahtisaari ((Interview 17. September), der Vorsitzende der "Unabhängigen Türkei Kommission": "Das Thema ist zu wichtig, um es den Agrariern zu überlassen." Nun wäre es unfair, die Arroganz Ahtisaaris generell auf Außenpolitiker und Spitzendiplomaten zu übertragen. Die Lektüre des in vielem durchaus interessanten Berichtes der Kommission lässt aber jedenfalls deutlich werden, dass das Thema EU-Beitritt der Türkei zu wichtig ist, um es nur Außenpolitikern und Diplomaten zu überlassen.

So ist es schon erstaunlich, mit welcher Nonchalance in Zeiten, wo die EU vor heftigen Kämpfen bezüglich ihrer künftigen Finanzstruktur steht, festgestellt wird, "die einzige Vorhersage, die derzeit vernünftigerweise gemacht werden kann, (ist) jene, dass die Türkei ein Kandidat für beträchtliche Unterstützung wäre". Gleichzeitig wird aus dem optimistischen Vergleich mit Pro-Kopf Einkommen suggeriert, "dass die Türkei vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen im Verhältnis zu derzeitigen und früheren Betrittskandidaten keineswegs aus dem Rahmen fällt" - was das Problem übersieht, dass die Türkei eben nicht nur arm, sondern auch sehr groß ist.

Sicher nicht zufällig ist im Bericht prominenter außenpolitischer Experten die Frage der "Finalität", d. h. der Grenzen der EU, ausgeklammert und damit die Frage, warum etwa die Türkei prinzipiell privilegiert sein sollte gegenüber eindeutig europäischen (wenn auch sicher nicht beitrittsfähigen) Staaten, wie Ukraine und Weißrussland, die nicht die Chance hatten, in Zeiten des Kalten Krieges erste Versprechungen zu erhalten. Daher wird auch die Frage nach alternativen Formen einer seriösen Kooperation mit den großen Nachbarstaaten der EU nicht diskutiert.

Hervorgehoben wird dagegen, dass eine Mitgliedschaft der Türkei "die Fähigkeit der Union als außenpolitischer Akteur erheblich stärken (würde)" - nicht ohne dezenten Hinweis auf die "beträchtlichen militärischen Kapazitäten der Türkei".

Wer die Integration Europas primär als ein Instrument sieht, um ein "spezifisch europäisches" Gesellschaftsmodell zu sichern und zu stärken, wird wohl gegenüber den für einen EU-Beitritt der Türkei vorgebrachten außenpolitischen Argumenten skeptisch sein und eher mit der verantwortungsbewussten und vorsichtigen Position des überzeugten und umfassend orientierten Europäers Franz Fischler übereinstimmen.

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