Die Höchstrichter haben gesprochen, aber alle lang geschwiegen?

APA/NEUMAYR/MMV
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Die Wahl zum Bundespräsidenten wurde aufgehoben. Gut so. Die Verantwortung trifft die öffentliche Verwaltung in den Bundesländern und das Innenministerium.

Bei der Anhörung der Zeugen vor einer Woche hat es der ehemalige Tiroler FPÖ-Chef und Dritter Nationalratspräsident im Jahr 1990, Siegfried Dillersberger, in einem Nachsatz auf den Punkt gebracht: Das Gesetz zur Auszählung der Briefwahl sei nicht vollziehbar. Und der Bezirkshauptmann von Graz-Umgebung doppelte später nach: Im vollen Bewusstsein, das Gesetz nicht zu erfüllen, habe man Briefkuverts vorzeitig „geschlitzt“.

Nun hat der Verfassungsgerichtshof die Stichwahl zur Bundespräsidentschaft zur Gänze aufgehoben. Dabei stellte sich heraus, dass allein die vorzeitige Weitergabe von Teilergebnissen am Nachmittag des 22. Mai durch das Innenministerium für eine Aufhebung gereicht hätte, weil sie die Wahl beeinflusst haben könnte. Es wird interessant sein, zu erfahren, wer dafür verantwortlich ist und welche Konsequenzen gezogen werden.

Bedeutender aber ist die Frage, warum alle, die über derartige Vorgänge bei Wahlen schon bisher Bescheid wussten, so lange geschwiegen haben? Die rechtswidrigen Schlitzereien von Kuverts ohne Aufsicht, die mangelhaften Einberufungen der Wahlkommissionen und andere augenzwinkernde „Wir werd'n kann Richter brauchen“-Aktionen fanden ja nicht zum ersten Mal statt. Viele haben es gewusst, alle haben es vertuscht. Die Antwort scheint einfach: Es fehlt an Zivilcourage, an Respekt vor der Verfassung und damit schließlich vor der Demokratie.

Am Beispiel der Briefwahl: Schon vor Jahren haben Rechtsprofessoren der Universität Graz bei einer Konferenz lauthals beklagt, das Gesetz zur Briefwahl sei verfassungswidrig. Keiner dieser unkündbaren Professoren war damals auf den Gedanken gekommen, dass er nicht nur Rechtswissenschaftler, sondern auch Bürger ist. Statt nur bei einer Konferenz über ein schlecht gemachtes Gesetz zu klagen, hätten sie damals lauter auf mögliche Probleme aufmerksam machen können.

Die Wahlleiter, von denen etliche, wenn vielleicht auch nicht alle,  wie der steirische Bezirkshauptmann „im vollen Bewusstsein“ vorzeitig die Kuverts geschlitzt haben, hätten auch schon längst Alarm schlagen können. Sie haben es wahrscheinlich aus der ur-österreichischen Haltung „Nur kane Wellen“, aus Angst, ihren Parteien Probleme zu bereiten, oder aus Angst um die eigene Parteikarriere nicht getan. Bei ihnen liegt jetzt nicht nur die rechtliche, sondern auch die politische Verantwortung.

Im Grunde handelt es sich aber um ein Versagen der öffentlichen Verwaltung der Bundesländer. Die Landeswahlbehörden hätten die ausreichenden Informationen und die Schulungen, die nun vom Höchstgericht eingefordert werden, längst sicherstellen müssen.

Und noch etwas wissen wir jetzt. Die Situation ist grotesk: Es gibt immer mehr politische Parteien, die in den Körperschaften vertreten sind, aber immer weniger Menschen, die sich von ihnen zu einem korrekten Vorgehen als Wahlhelfer motivieren lassen. Nach der Blamage bei der Stichwahl steht zu befürchten, dass es in Hinkunft noch weniger werden. Man kann es ihnen nicht einmal verdenken. Wer riskiert schon freiwillig, sich irgendwann wieder vor dem Höchstgericht dafür verantworten zu müssen?

Die Wahl zum Bundespräsidenten ist die einzige direkte Personenwahl in Österreich. Das Chaos jetzt darf nicht zu einer Abschreckung von einer weiteren Personalisierung der Wahlen führen. Im Gegenteil: Die Parteien hätten jetzt die Chance, endlich einzusehen, dass diese weitaus spannender zu gestalten wäre, als Wahlen via Parteilisten. Damit könnte man auch einer weiteren Wahlverweigerung der Bürger entgegenwirken.

Die Wahl zum Bundespräsidenten wurde angefochten. Und das ist gut so. Die Wahl wurde aufgehoben. Und das ist gut so. Österreich ist international blamiert. Und das ist nicht gut. Aber diese Blamage muss jetzt das Ende schlecht formulierter Gesetze und den fahrlässigen Umgang mit Rechtsvorschriften bedeuten. Dann hat auch sie etwas Gutes.

E-Mail an: dabatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 2. 7. 2016)

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