Keine Demokratie ohne Referenden?

Die parlamentarische Demokratie setzt auch ohne Volksabstimmungen Recht, das vom Volk ausgeht.

Der Nationalrat hat den EU-Reformvertrag genehmigt. Er hat dem Druck auf Beschluss einer Volksabstimmung standgehalten. Nun ist die Reihe am Bundesrat. In der Auseinandersetzung um die Befragung des Volkes zu diesem Vertragswerk wurde der Eindruck erweckt, nur die Beschlussfassung durch das Volk wäre demokratisch: „ihr Recht geht vom Volk aus“, so Art.1 der Bundesverfassung; die Verweigerung der Volksabstimmung sei Verfassungsbruch.

Es ist Zeit, diese heilige Kuh am Schwanz zu ziehen. Volksabstimmungen, wie andere Mittel der direkten Demokratie werden zu Recht selten genutzt. Nur selten sind sie sachgerecht. Wenn die Staatsgrundsätze verändert werden, muss das Volk entscheiden: Republik, Demokratie, Bundesstaat, Rechtsstaat. In diesen Fällen handelt es sich um klar umrissene, verständliche Fragestellungen. Staatsverträge wie der Reformvertrag können in unserer Verfassungsordnung gar nicht Gegenstand einer Volksabstimmung sein.

Es hat einen tiefen Sinn, dass unsere Verfassung der direkten Demokratie enge Grenzen zieht; sie ist nämlich nicht missbrauchsicher. Im Gegenteil, sie fordert dazu heraus – dies zeigen auch viele Volksbegehren. Die politische Auseinandersetzung gerade vor und um Volksabstimmungen ist häufig von Fragen geprägt, die wenig oder nichts mit dem Gegenstand der Abstimmung zu tun haben: Denkzettel für die Regierung, ungelöste Probleme, geschürte Ängste, Unterstellungen. Nach diesem Muster wurden die Volksabstimmungen über die EU Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden entschieden. Unsere Parteiendemokratie ist zur Mediendemokratie geworden: die Verschränkung von Massenmedien und politischen Parteien in einer Kampagne führt allzu oft, aber zum Glück nicht immer, zum Erfolg.

Beim EU-Vertrag geht es um kein Grundprinzip unserer Verfassung; er bringt wichtige Änderungen, wie schon gleichartige Verträgsänderungen vorher, für die keine Volksabstimmung gefordert wurde. In Wahrheit geht es den Forderern heute auch nicht um den Vertrag, sondern um einen Austritt aus der Union. Das ist das Ziel der linken und rechten Sturmscharen; extrema se tangunt.

Alle anderen Gründe sind vorgeschoben, sind Unterstellungen, die zu diesem Ziel führen sollen: Neutralitätsveränderung, Verteidigungspflichten, Machtverlust, Zwang zur Kernenergie, Umweltzerstörung. Andere spiegeln eigene Ängste und Kampfziele in den diesbezüglich unbedenklichen Reformvertrag hinein. Es sind haarscharf die Argumente der Beitrittsgegner des Jahres 1994!

Die in letzter Zeit viel geschmähte österreichische Demokratie hat diesem Ansturm standgehalten. Unterstützt von der größten Zeitung der Welt (gemessen am Prozentsatz der Leser), am Ende auch von wilden Grün-Alternativen (ihre Rolle war die der „nützlichen Idioten“) haben zwei politische Parteien keine Volksbewegung zustande gebracht. Bei der Volksabstimmung 1994 haben 66 Prozent für den EU-Beitritt gestimmt, heute sind immer noch fast ebensoviele gegen einen Austritt. Auch die vierte Gewalt (die Medien) hat ihre Grenzen erfahren. Die Demokratie setzt auch ohne Volksabstimmungen Recht, das vom Volk ausgeht. Das ist gut so.

Univ.-Prof. Andreas Khol war Nationalratspräsident.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2008)

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