Aus der Traum vom Sozialismus!

Die gescheiterten, die alt gewordenen 68er feiern sich selbst.

Nein, nicht die Gegenwart beschäftigt mich heute, sondern die beiden „Revolutionen“ des Jahres 1968. Beide sind fehlgeschlagen. Die „68er Studentenrevolte“ endete im Blut der Roten Armee Fraktion und der Brigate Rosse. Der „Prager Frühling“ wurde von den Panzern der sozialistischen Bruderländer niedergewalzt.

Der Studentenaufstand richtete sich gegen die Nachkriegsordnung. Geprägt vom Kalten Krieg zwischen Nato und Warschauer Pakt, europäischer Integration, sozialer Marktwirtschaft, Parteiendemokratie, bürgerlicher Moral, Freiheit. Das Ziel war die Überwindung der Spaltung Europas durch basisdemokratischen Sozialismus mit grünem Gesicht. Antiautoritär durch Abwerfung aller Fesseln der bürgerlichen Gesellschaft, eine grün-alternative, sozialistische Utopie. Die Entwicklung führte in eine ganz andere Richtung. Soziale Marktwirtschaft (als Neoliberalismus verunglimpft) und die Friedensordnung der Nato-Staaten mündeten in europäische Integration, Globalisierung, Partnerschaft für den Frieden. Die bürgerliche Welt triumphierte über die grüne Utopie.

Im kurzen Prager Frühling vom Jänner bis zum August 1968 versuchten tschechische kommunistische Reformer, dem Sozialismus ein menschliches Antlitz zu geben.

Gerade die Tschechen und Slowaken hatten ja den Kommunismus nicht von der Roten Armee aufgezwungen erhalten, sondern ihn in freien Wahlen selbst gewählt. Die Reformer im Jahre 1968 wollten Sozialismus mit Freiheit und Demokratie vereinen, die Menschenrechte verbürgen und die Menschen von der kommunistischen Bürokratie befreien. Keine Revolution, sondern eine Reform. Sie wurde aber als Revolution empfunden, auch bei den anderen Mitgliedern des Warschauer Paktes. In einer Blitzoperation beendigte eine multinationale Eingreiftruppe unter der Führung der Sowjetunion das Experiment. Freiheit und Sozialismus geht eben nicht, Freiheit oder Sozialismus trifft den Nagel auf den Kopf. Dies mussten die Tschechen am eigenen Leib erfahren. Der Panzerkommunismus triumphierte.

Man muss beiden „Aufständen“ dankbar sein. Sie schafften Klarheit. Die Zielsetzung beider war dieselbe: einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und realem Sozialismus zu finden, gekennzeichnet durch Sozialismus, Demokratie und Freiheit. Die Studenten versuchten den grünen, die tschechischen Reformer den roten Weg. Beide scheiterten, mussten scheitern. Der einzige gangbare dritte Weg ist die öko-soziale Marktwirtschaft, der europäische Weg.

So bereiteten beide Bewegungen den Sieg der Freiheit mit Mauer-Fall vor, dem Ende des Warschauer Paktes und der Sowjetunion, der Nato-Partnerschaft und der Erweiterung der EU um die neun Reformländer, ehemals Mitglieder des Warschauer Pakts.

Die Umschreibung der Geschichte ist voll im Gang. Deutschland hat einen Hang zum Revisionismus (erinnern sie sich an den Historikerstreit zur Historisierung des Nationalsozialismus?): Die gescheiterten, die alt gewordenen 68er feiern sich selbst und reden sich einen Sieg ein.Wie heute der Prager Frühling gesehen wird, wird sich erst zeigen.1

1Auf zwei Werke möchte ich hinweisen: Zur 68er-Bewegung: Götz Aly, „Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück“, S. Fischer, 2008. Zum Prager Frühling: Stefan Karner-Natalja, Tomalina-Alexander Tschubarjan, „Prager Frühling – Das internationale Krisenjahr 1968“, Böhlau, 2008.

Univ.-Prof. Andreas Khol war Nationalratspräsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2008)

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