Hilfe, wir haben die Glaubwürdigkeit geschrumpft – und zwar gründlich

Was Politiker dazu treibt, das einzige Kapital, mit dem sie wirklich arbeiten können, so leichtfertig zu vergeuden. Frank Stronach wirkt bei Auftritten als Politiker um nichts ehrlicher als andere.

Es war rührend, wie fassungslos zwei erwachsene Männer, Berufspolitiker zudem, vor zwei Wochen bei einer TV-Diskussion auf Kritik reagierten. Es sei doch alles bestens, die Wirtschaftslage gut, das Ausland voll des Lobes. Was denn Zweifel an der ohnehin guten Arbeit der rot-schwarzen Regierung überhaupt soll?

Damals gab ÖVP-Klubchef Karlheinz Kopf sogar Garantien ab: für die Reform des Gesundheitswesens, für die Einführung der Ganztagsschule und für Änderungen bei der Invaliditätspension – noch bis zur Nationalratswahl 2013. Was man in der ÖVP unter „Garantie“ versteht, war dann Dienstag dieser Woche klar: Die ÖVP legte für die Ganztagsschule einen Entwurf vor, von dem sie wusste, dass er für den Koalitionspartner SPÖ so nicht akzeptabel ist. Also war der Wunsch, die Dinge zu verzögern, doch mehr wert als jede Garantie. Man muss nur so lange immer neue Hindernisse für eine Einigung suchen, bis die Zeit (leider) für vernünftige Lösungen nicht mehr ausreicht.

Es sind die immer gleichen Ausreden. Und diese wiederum der Grund für den wachsenden Ärger in der Bevölkerung. Es scheint fast so, als hätten sich viele in der Politik mit einem Antiglaubwürdigkeitsvirus infiziert.

Kopf hat keinen Alleinanspruch auf den aktiven Abbau an Verlässlichkeit. Seine Parteifreundin, Finanzministerin Maria Fekter, bemüht sich ebenfalls redlich. Einmal erklärt sie nach dem Ministerrat, mehr Geld für Pendler sei überhaupt kein Problem. Man zahle weniger Zinsen für Schulden und habe daher ein „bisschen einen Puffer“; wenige Tage später nennt sie ihre eigenen Handlungen, also das neue Pendlerpauschale, „nicht klug“. Ihren Hinweis vor Steuerberatern, dass sie als Finanzministerin ohnehin anders rede als denke, weil sonst „wahlschädlich“, hielt sie wahrscheinlich für einen Ausdruck besonderer Offenheit.

Noch ärgerlicher aber ist das Versprechen, Verzögern, Vergessen. Am Beispiel der Gesundheitsreform, die Kopf ebenfalls für das Frühjahr garantierte. Die Regierung weiß spätestens seit Frühjahr 2010, dass die Kernpunkte der letzten Reform 2005 – die gleichen übrigens wie jetzt – nicht realisiert worden sind. Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) hätte also schon zwei Jahre Zeit gehabt. Wir lassen uns gern überraschen, erwarten aber irgendwelche Hürden zwischen Bund, Ländern und Ärzten, bis die Zeit leider, leider wieder zu kurz ist.

Stöger kann sich ja bei seinem Parteikollegen, dem anderen erwachsenen Mann in der TV-Sendung, SPÖ-Klubchef Josef Cap, erkundigen, wie das geht: Cap hat Erfahrung. Bereits 2005 garantierte er bei einer Buchpräsentation die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Minderheitsrecht im Nationalrat. Und jetzt wird es leider, leider wieder nichts damit, weil man ja Gesamtänderungen und Gesamt-dies-und-das bedenken muss. Und wieder die Zeit davongelaufen ist...

Glaubwürdigkeit ist offenbar ein Stiefkind der Politik, das phasenweise besonders grob vernachlässigt wird. Auch von Frank Stronach. In einem 13 Minuten langen „ZiB2“-Auftritt Donnerstagnacht wirkte er – Fragen zur Wahrheit der Magna-Geschäfte ausweichend – nicht einen Deut glaubwürdiger als jeder andere Politiker.

Nur, wenn man den Menschen schon etwas vormachen will, dann bitte weniger plump als Cap, Stöger, Kopf, Fekter, Stronach und Konsorten.


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Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)

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