Wieso Spindelegger Snowden dankbar sein muss und der Rest Hochmut ist

Wahlkampf ist. Da muss sogar ein amerikanischer Whistleblower zur Ablenkung herhalten: Wirtschaft, Außenpolitik, Parteilinie – wen interessiert das, während sich ganz Europa über die USA alteriert?

Zum Glück der ÖVP und ihres Obmanns, Michael Spindelegger, heizte der dreizehnstündige Zwangsaufenthalt von Boliviens Präsident, Evo Morales, diese Woche in Wien die Diskussion um Edward Snowden, den Enthüller, wieder so richtig an. Denn erstens ist Snowden für Österreichs Außenminister überhaupt ein Glücksfall und zweitens verdrängte die Morales-Aufregung jede Nachbetrachtung der Spindelegger-Wahlkampfrede am Dienstag in der Hofburg aus den Medien.

Es ist ja Wahlkampf und da kann man jede Hilfe brauchen. Die Snowden-Affäre gab Spindelegger die Gelegenheit, den amerikanischen Botschafter ins Außenamt zu zitieren. Wow! So oft kommt das nicht vor. Und dann konnte Spindelegger, eigentlich ja auch Außenminister, im ORF noch erklären, was er in Ich-Form nicht alles von den USA will. Kein Mensch redet mehr von dem internationalen Imageschaden durch den Bruch der UN-Verträge und den überstürzten Abzug der Blauhelme vom Golan. Niemand will das (Kraft-)Spiel verderben. Wen interessiert es, dass Österreich keine erkennbare außenpolitische Handschrift mehr hat?

Wenn Snowden in aller Munde ist, kann auch von dem ÖVP-Treffen zur traditionellen Selbstbeschwörung abgelenkt werden. Aber man muss es Spindelegger lassen: Er kennt sich mit ÖVP-Traditionen aus. Wie oft in den letzten Jahrzehnten hat der gerade jeweils aktuelle ÖVP-Chef an Parteitagen etc. vor einer Wahl exakt dieselben Worte in den Saal gerufen: „Jetzt geht's los“? Wie oft haben die Funktionäre solche Veranstaltungen schon im Irrglauben verlassen, die nächste Wahl sei schon gewonnen? Immer wieder! Hochmut und Selbstbetrug haben in der ÖVP eben Tradition.

Aber auch das übrige Ablenkungspotenzial der Snowden-Abhör-Morales-Episoden darf nicht ungenützt bleiben: Der ÖVP-Chef will – das wiederholt Spindelegger so oft, dass man schon an Programmierung glauben kann – die Wirtschaft „entfesseln“.

Jetzt plötzlich? Hat seine Partei in 26 Regierungsjahren die Wirtschaft in Fesseln gelegt? Auf eine entsprechende Frage im ORF fiel ihm eine besonders vife Antwort ein. Ob man denn glaube, dass mit der SPÖ wirklich dieses und jenes zu machen gewesen wäre? In 20 Jahren Regierungspartnerschaft? Wie schwach muss die ÖVP denn da gewesen sein? Und das als „treibende Wirtschaftskraft“. Als politische Linie geben solche Argumente nichts her. Allein, wer merkt's?

Es fällt eben nicht weiter auf, wenn ganz Europa und auch Österreich wieder vom Hochstand ihrer vermeintlichen moralischen Überlegenheit aus auf die USA starren und von dort ihre Empörung in die Welt hinausschreien. Es ist immer derselbe Reflex: Kaum geben die USA Anlass zu Zweifel und Kritik, verschwindet in Europa die Sachlichkeit und triumphiert die Emotion der angeblichen Überlegenheit.

Damit wird aber nur die eigene Schwäche kaschiert. Starke Sprüche klopfen und gleichzeitig von den geheimdienstlichen Aktivitäten der USA profitieren, das geht immer.

Jan Fleischhauer bringt es in „Spiegel Online“ mit dem Titel „Hysterie in der Nacktsauna“ auf den Punkt: In Europa vertraut man dem Staat alles an – Kleinkinder, Bildung, Altersversorgung etc. – aber kein Geld für Schutz und Sicherheit. Lasst die andern dafür sorgen, wir regen uns dann auf. Hochmut also überall.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2013)

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