Die seltsame Logik der „staatlich legitimierten Abzocke“

Länger arbeiten, Wirtschaft entfesseln, mehr Steuern abliefern! Das funktioniert nicht, wenn Selbstständige ab einem bestimmten Alter dafür bestraft werden.

Die Suche nach der Logik im staatlichen Steuer- und Abgabesystem ist kein empfehlenswertes Unterfangen. Lassen Sie mich einmal für bare Münze nehmen, was sich die Regierung so von der Bevölkerung alles wünscht: späteren Pensionsantritt, längere Erwerbsarbeitszeit, stärkere Kaufkraft zur Entfesselung der Wirtschaft, höhere Steuereinnahmen.

Als Betroffene habe ich mich also auf den Weg gemacht: Welchen Sinn ergibt die Mehrfachversicherung (Pension, Krankenkasse, Unfall, Eigenvorsorge) von ASVG-Pensionisten mit selbstständiger Tätigkeit? Gleich vorweg: Der Weg war gepflastert mit Auskünften wie „Ich kann Ihnen auch nicht sagen, was sich der Gesetzgeber dabei gedacht hat“ oder „In Österreich werden nicht Personen versichert, sondern Beschäftigungen.“

Alles zusammen ergab zwar keinen Sinn, denn meine Artikel benötigen keine Altersvorsorge, werden auch nicht krank, verunfallen höchstens im übertragenen Sinn und kennen keine Eigenvorsorge. Doch die Fahndung nach der verborgenen Logik förderte schon eine Erkenntnis zutage: Selbstständige Arbeit nach Pensionsantritt lohnt sich nicht. Ein Gutteil davon ist nämlich in Form von Pensionsbeiträgen, Krankenversicherung, Unfallversicherung etc. an die Sozialversicherungsanstalt für Selbstständige (SVA) abzuliefern. Hinzu kommt dann noch die erhöhte Einkommensteuer bei einem entsprechenden Zusatzeinkommen.

Länger arbeiten, wie von der Regierung propagiert? Ergibt unter diesen Umständen kaum Sinn. Mehr Konsum? Geht nicht, weil tausende Euro an die SVA fließen. Höhere Steuereinnahmen? Kurzfristig vielleicht – je nachdem wie lange der/die Selbstständige zur Erkenntnis benötigt, dass die Tätigkeit nach Erreichung des Pensionsalters finanziell witzlos ist. Als Hobby vielleicht, als Einnahmequelle zugunsten von Kaufkraft sicher nicht.

Für ASVG-Pensionisten ab einem gewissen Alter sind Pensionsbeiträge für die SVA ein reiner Hohn, zusätzliche Krankenkassenbeiträge eine Provokation, weil sie ohnehin versichert sind – und dafür auch zahlen. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort einer Beamtin auf die Frage, ob man das Geld nicht gleich zum Fenster hinauswerfen könnte, verständlich: „Ja, könnten Sie!“ Aber wahrscheinlich steht unter diesem Fenster jemand von der SVA und hält die Hand auf.

Man kann das natürlich auch anders sehen, wie aus einer der Antworten hervorgeht. Sie entbehrt nicht einer gewissen Komik: Die Pensionsbeiträge sollten zu einer Zusatzpension führen (Wann bitte? Ab 90 Jahre?); die Unfallversicherung sei für einen „Weg zu einer Pressekonferenz“ nötig, weil er als Wegunfall versichert wäre. Und überhaupt setzten sich die Beträge aus laufenden Beitragszahlungen, aus erhobenen Nachzahlungen und vorgeschriebenen Vorauszahlungen zusammen. Alles klar? Kann doch nicht so schwer zu verstehen sein. Wirklich paradox wird die Sache aber mit den Grenzbeträgen. Wer als Pensionist ein hohes selbstständiges Einkommen hat, bekommt die Beiträge refundiert. Wer knapp darunter liegt, bezahlt doppelt ohne Gegenleistung.

Wer also mehr verdient, bekommt Geld zurück, wer wenig verdient, nicht. Wie war das mit der Kaufkraft? Noch paradoxer die Tatsache, dass dem Staat sowohl erhöhte Einkommensteuer als auch Umsatzsteuer entgehen, sobald der arbeitswillige und -fähige Pensionist aus Ärger über die unsinnige Mehrfachversicherung seine Selbstständigkeit aufgibt. Ein wahrlich schlechtes Geschäft für die Allgemeinheit also.

Das kann nur jemand verstehen, der weiß, dass in Österreich der einen Institution (SVA) gleichgültig ist, ob eine andere (Finanzamt) von einer Maßnahme betroffen ist oder nicht. Die Zwangsbeiträge der Mehrfachversicherung „gehören“ der SVA. Punkt. Damit kann dann der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, wirtschaften.

Ihm ist zu verdanken, dass die Suche nicht erfolglos war. Er zeigte in einem Gespräch auf, wo die Logik zu finden ist: „Das ist staatlich legitimierte Abzocke.“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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