Die destruktive Kraft des vorauseilenden Misstrauens

Politiker erhalten oft gar nicht mehr die Chance, gegen sie gehegte Vorurteile zu entkräften. Schützenhöfer, Niessl und Häupl demonstrieren, warum das so ist.

Gut, die Erfahrung lässt kaum einen anderen Schluss zu. Aber müssen die Medien Politikern wirklich vorweg jede Glaubwürdigkeit absprechen? Diese Praxis kann man auch als destruktive Kraft des vorauseilenden Misstrauens beschreiben.

An drei ganz konkreten Beispielen der vergangenen Wochen lässt sich diese ganz genau darstellen. Erstens: Als der steirische ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer etwa zehn Tage vor der Landtagswahl am vergangenen Sonntag Widerstand gegen die von SPÖ und ÖVP im Bund geplante Aufweichung des Bankgeheimnisses, Schnüffelbefugnis für Finanzbeamte in alle Konten inklusive, angekündigt hat, hieß es prompt: Den werde er wohl nach der Landtagswahl umgehend wieder aufgeben. Mit der Drohung, steirische Abgeordnete der ÖVP würden dem Gesetz nicht zustimmen, wenn es nicht geändert werde, meine er es ja auch nur wahlkampftechnisch ernst. Das alles sprach Schützenhöfer gleich einmal vorweg jede Überzeugung abseits der Linie der Bundespartei ab.

Zwar wird sein Versprechen, diesen Eingriff in die Privatsphäre aller Steuerzahler nicht zulassen zu wollen, ganz exakt überprüfbar sein. Es handelt sich ja nicht um irgendeine allgemeine Zusage irgendeiner Verteilungsaktion in Zukunft, sondern um eine ganz bestimmte Entscheidung demnächst. Trifft er sie gemäß seiner Meinung vor der Landtagswahl oder nicht? Leicht überprüfbar.

Zweitens und auch noch in der Nähe der eben geschlagenen Landtagswahl: Als Burgenlands SPÖ-Chef Hans Niessl im Wahlkampf von verschärften Regeln auf dem Arbeitsmarkt gesprochen und die Bevorzugung burgenländischer Arbeitnehmer angekündigt hat, hieß es sofort: Ob er das nach der Wahl auch umsetzen werde, sei mehr als fraglich.

Niessl Glaubwürdigkeit hätte so gar nicht in Zweifel gezogen werden müssen, hätte man ihn bedrängt, genau darzulegen, wie er sich das innerhalb der EU denn eigentlich vorstelle. Dann wäre schnell klar gewesen, dass nach EU-Recht eine Diskriminierung „ausländischer“ EU-Bürger gar nicht möglich sein wird. Aber diese Mühe macht man sich gar nicht, sondern betet nach, was Niessl verkündet – und spricht ihm gleichzeitig indirekt jede Verlässlichkeit ab.

Drittes Beispiel: Als Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) höchstpersönlich vor Kurzem einen Grundstücksdeal rund um das Wiener Allgemeine Krankenhaus stoppte, der die Errichtung einer Privatklinik ermöglichen hätte sollen, hieß es ebenfalls sofort: Nach der Gemeinderatswahl im Oktober werde das Geschäft zugunsten von Versicherungsunternehmen wie Uniqa und Wiener Städtischen Versicherung schon über die Bühne gehen. Häupl wolle nur jetzt keine Turbulenzen im Gesundheitswesen und keine Probleme mit der Med-Uni Wien.

Das heißt, dem Wiener Bürgermeister wurde a priori jede Einsicht abgesprochen, dass es für die SPÖ nicht so stimmig wäre, zum Vorteil einer Versicherung in ihrem Einflussbereich einen Tempel der Zweiklassenmedizin zu forcieren.

Auf der einen Seite politisch dagegen wettern, auf der anderen Seite zwei Klassen begünstigen – so ein Widerspruch soll nur vor einer Gemeinderatswahl auffällig sein, danach nicht mehr? Die Medien nehmen es an.

Es wird aber Zeit, dass Politiker und Bürger sich gegenseitig nicht länger unter Generalverdacht stellen. Die einen erheben ihn zur Zeit massiv mit Staatsschutzgesetz, Kontoöffnungen und verdeckten Ermittlern der Krankenkassen; die anderen mit Vertrauensentzug in allen Bereichen: Ankündigungen und Versprechungen seien auf jeden Fall wertlos und unglaubwürdig.

Hinzu kommt eine immer aggressivere Sprache in Medien, Blogs und sozialen Netzwerken. „Dumm und dümmer“ gilt da schon als Höflichkeitsfloskel für Verantwortungsträger. Dieses gegenseitige Misstrauen bringt das Land aber nicht weiter. Und es ist für das demokratische Gefüge gefährlich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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