Müsste, könnte, sollte: Das Jahr, in dem der Konjunktiv verbannt wird

Ein Land in der Endlosschleife ständiger Ankündigungen des ewig Gleichen. Warum Medien alte „Geistesblitze“ nicht mehr als neue Taten verkaufen sollen.

Sollten sich die Spitzen der rot-schwarzen Koalition fragen, warum die Stimmung im Land um so viel schlechter ist als die tatsächliche Situation oder warum die Österreicher mehrheitlich pessimistisch auf das kommende Jahr blicken – die Antwort ist ganz einfach: Irgendwann zerrt die rot-schwarze Methode der unbestimmten Politik an den Nerven der Bürger.

Quasi auf einer Endlosschleife stehend, sehen sie die immer gleichen Probleme an sich vorbeiziehen, begleitet von einer Kakofonie des Müsste, Könnte, Sollte. Damit muss im nächsten Jahr Schluss sein. Nach dem Krisenjahr 2015 mit all den Ängsten und Unsicherheiten für breite Bevölkerungsschichten ist sichtbare Entschlossenheit gefragt. Notwendige Veränderungen müssen endlich in Angriff genommen werden. Sonst wird sich die unverhältnismäßig starke pessimistische Grundstimmung nicht auflösen.

Dazu ist allerdings notwendig, dass Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) seinen Habitus als Realitätsverweigerer ablegt, die quasidepressive Verstimmung seiner Wählerschaft als Faktum erkennt und nicht länger so tut, als wäre alles in Ordnung. Notwendig auch, dass sein Vize Reinhold Mitterlehner nicht länger beleidigt reagiert, nur weil die Bevölkerung (Medien inklusive) auf die vermeintlichen Segnungen seiner Politik nicht mit überbordendem Optimismus reagiert.

Mehr als ein Jahr hat der ÖVP-Chef den Unverstandenen gegeben. Es ist an der Zeit, in seiner Partei die Order auszugeben: Es werden nur mehr Entscheidungen kommuniziert; nichts, das man müsste oder sollte oder könnte. Dem Koalitionspartner kann er das zur Nachahmung empfehlen.

Wovon haben die Menschen nämlich genug? Diese ewig gleichen Ankündigungen von Dingen, die schon längst erledigt hätten sein sollen. Das verstärkt in der Bevölkerung mehr als alles andere das Gefühl, entweder a) für zu blöd gehalten zu werden, um sich zu erinnern. Oder b) für dumm verkauft zu werden. Ein Paradebeispiel ist der Moloch der Sozialversicherungen. Der Hauptverband hat jetzt mit Ulrike Rabmer-Koller (ÖVP) eine neue Präsidentin. Und ganz so, als ob ein Geistesblitz in die Bürokratieburg im dritten Wiener Gemeindebezirk eingeschlagen hätte, wird wieder (wie seit Jahren) über Zusammenlegungen nachgedacht – und dies, das Nachdenken nur, als etwas ganz Neues verkauft. Macht es endlich oder schweigt für immer!

Um im Gesundheitsbereich zu bleiben: Wie oft war schon von Lehrpraxen die Rede, um die Spitäler bei der Ausbildung der Jungärzte zu entlasten? Jetzt wieder. Wenn das nicht ärgerlich ist.

Die schlimmsten Beispiele aber finden sich in der Wirtschaft: zum einen die jobkillenden, exorbitant hohen Lohnnebenkosten, zum anderen die Schikanen zum Schaden von Arbeitnehmern und Betrieben. Man müsste, man sollte, man könnte die Lohnnebenkosten senken. Warum passiert es dann seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, nicht?

Der nächste Politiker, der sich mit dieser Forderung/Ankündigung an die Öffentlichkeit wagt, wird von dieser verpflichtet, ein ganz konkretes, umsetzbares Konzept vorzulegen – innerhalb einer bestimmten Frist. Her damit oder kein Wort mehr, bis es eines gibt.

Und keine Klagen mehr über die Freudlosigkeit von Unternehmern, solange nicht Bosheiten wie die folgende abgestellt sind: Ein Arbeitnehmer verschweigt seinem neuen Arbeitgeber gewisse Vordienstzeiten, weil er den Job unbedingt haben will, dieser aber sonst zu teuer für das Unternehmen wäre. Die Sozialversicherung merkt den Fehler und verdonnert den (unwissenden) Arbeitgeber zu einer Strafe. Nicht einen Satz mehr über Unternehmerfreundlichkeit!

Wie ein anderes Verhalten heuer zu erreichen wäre? Die Medien geben ihre Ankündigungskomplizenschaft mit der Politik auf und berichten über jene Müsste-Sollte-Könnte-Pläne, die seit Jahren sattsam bekannt sind, nicht mehr. Interviews werden dadurch drastisch verkürzt, das schmerzt die Ankündiger. Es ist den Versuch wert.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2016)

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