Eingeständnis eines Irrtums: Es ist in den USA doch möglich

Kündigt sich mit Donald Trump als US-Präsident ein Ruck in ein autoritäres System an? Wenn ja, dann liegt das am veralteten System der Wahlmänner.

Seit über 50 Jahren, seit den Tagen an einer amerikanischen High School in den frühen 1960er-Jahren, war ich der festen Überzeugung, die USA würden sich im Gegensatz zu vielen anderen Staaten im letzten Moment immer besinnen und nicht in den Abgrund eines autoritären Systems fallen. Die Geschichte hat es gezeigt. Bis jetzt. Ich habe mich geirrt.

Natürlich haben Schriftsteller wie Philip Roth in „Verschwörung gegen Amerika“ und Sinclair Lewis „It can't happen here“ („Das ist bei uns nicht möglich“) gegenteilige Szenarien bereits angedacht. Aber das sind Romane. Man hätte sie aufmerksamer lesen sollen. Roth lässt Charles Lindbergh, den Fliegerhelden und Sympathisanten des faschistischen Systems, die Präsidentenwahl 1940 gewinnen, dann verschwinden, schließlich den Vizepräsidenten die Macht übernehmen. Der Rest des Romans ist eine Blaupause für eine Entwicklung, in der in einem Staat die Opposition machtlos ist und nur mehr wenige Charakter zeigen.

Noch aufmerksamer sollte man „ Das ist bei uns nicht möglich“ nachlesen, 1935 erschienen: Ein populistischer Senator wird zum Präsidenten gewählt. In seinem Wahlkampf hat er Angst geschürt, drastische wirtschaftliche und soziale Reformen und eine Rückkehr zu Patriotismus und traditionellen Werten versprochen. Ein Teil der Gesellschaft folgt ihm bedingungslos, nimmt Einschränkungen der Freiheit hin. Der andere beruhigt sich mit der Vorstellung, dass Faschismus in den Vereinigten Staaten eben nicht möglich wäre. Er war es dann doch.

Fast liest sich Lewis Roman wie eine Gebrauchsanleitung für den Wahlkampf des nunmehrigen President-Elect, Donald Trump: Viele bekannte Slogans finden sich dort, von „America first“ bis „Make America great again“.

Und was jetzt? Es gibt ein paar Überraschungen seit Mittwoch: Weiterhin werden in Medien Fakten ignoriert und Falsches ständig wiederholt. Nein, Trump hat nicht nur wegen der vielen Stimmen der weißen, alten, ungebildeten Männer gewonnen. 40 Prozent der weißen Frauen haben ihn gewählt. So viel zum Wahlmotiv Frauenfeindlichkeit. Und nein, es waren auch nicht die Armen und Verlierer, die den Milliardär in Weiße Haus geschickt haben. Es waren Angehörige der Mittelschicht.

Und nein, die Mehrheit hat Trump nicht gewählt. Sowohl an Stimmen wie an Prozentsätzen lag er am Ende des Tages hinter Hillary Clinton. Den Rest hat das völlig überalterte Wahlsystem der USA erledigt. Zwar sollte das Electoral College der 538 Wahlmänner den Einzug von Demagogen ins Weiße Haus verhindern und auf die Qualifikation jedes US-Präsidenten achten. Deshalb ist es theoretisch am 19. Dezember frei in seiner Entscheidung, aber: Das war's dann wohl mit der guten Absicht.

Weniger überraschend denn verstörend ist jedoch das Verhalten von uns Journalisten. Gerade haben wir bewiesen, dass sich alle Vorhersagen als falsch erwiesen haben. Keine 24 Stunden später geht das gleiche Spiel von vorne los. Auf der einen Seite sammelt sich die Beschwichtigungstruppe: Es werde schon nicht so schlimm werden; Trump werde im Amt ein anderer sein; er werde sich schon beruhigen.

Die ersten 48 Stunden, die Informationen über seine Pläne und die ersten Hassaktionen in seinem Namen („Jetzt ist unser Mann Trump Präsident“) unterstützen diese These nicht. Auf der anderen Seite wird ihm alles Schlimme zugetraut. Wie es wird, kann niemand wissen. Dennoch werden unverdrossen weiter Prophezeiungen abgeliefert.

Eines aber kann man sagen: Es wird darauf ankommen, ob es im Kongress, an den Gerichten und in der Verwaltung genügend Menschen mit Charakter, Rückgrat und einem unerschütterlichen Glauben an die Demokratie geben wird, die sich dem Egomanen widersetzen. Wenn nicht, dann trifft es uns alle. Wenn doch, dann wäre die Sorge jetzt ein Irrtum – und das wäre gut so. Wer weiß das heute schon?

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: „Reality-Check“, http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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