Quergeschrieben

Frage an die Kandidaten Lunacek, Strolz, Pilz: Ist Opposition Mist?

Alle Parteien wollen nur eines: Mitregieren! Die Verachtung für die Rolle der Opposition in der Demokratie ist erschreckend. Ein neues Wahlrecht muss her!

Eine Gretchenfrage in jeder parlamentarischen Demokratie wie sie angeblich in Österreich existiert muss wohl heißen: Wie hältst du es mit der Opposition? Ausgerechnet sie ist jetzt am Beginn des Intensivwahlkampfs vor dem 15. Oktober in Verruf geraten. Jede Partei will irgendwie mitregieren. Das verspricht in einem Land mit latent ausgeprägtem Hang zum sogenannten starken Mann nichts Gutes.

Eher beiläufig in dem ganzen Wahlkampfgetöse drängt sich diese Frage nun auf. Zum einen hat – wenig überraschend übrigens – Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl befunden, „Opposition ist Mist“. Er war damit neuerlich SPÖ-Spitzenkandidaten Christian Kern in die Parade gefahren. Kern hat nur gesagt: Wenn die SPÖ Platz eins verlieren sollte, „bleibt“ die Opposition.

Geglückter oder misslungener Mobilisierungsversuch hin oder her, was hätte er sonst sagen sollen? Aber ja, wir gehen auf alle Fälle in jede Regierung? Das hätte Niessl schon begreifen und sich die Wortmeldung sparen können. So aber hat der Burgenländer sein schwach ausgeprägtes Demokratieverständnis auf Kosten Kerns unter Beweis gestellt.

Dieses mit einem Zitat des ehemaligen SPD-Chefs Franz Müntefering aus dem Jahre 2004 rechtfertigen zu wollen, ist ein eher hilfloser Versuch, den Vorwurf der Machtversessenheit zu entkräften. Gerhard Schröder hatte auf einem Sonderparteitag den SPD-Vorsitz abgeben und Müntefering der Partei wieder Selbstvertrauen einhauchen müssen – 18 Monate vor der nächsten Wahlschlappe.

Wie auch immer, lebendige parlamentarische Demokratie braucht das Wechselspiel von Regierung und Opposition – in Österreich davon eher mehr als weniger. Dabei wäre Niessls Verachtung für die Rolle des Gegenspielers nicht so bedenklich, würde sie nicht in ein Gesamtbild passen. Das ist in dieser Wahlauseinandersetzung eher zufällig aufgetaucht. Alle im Parlament vertretenen Parteien wollen regieren, die Liste Pilz wahrscheinlich auch, wenn sie denn könnte. Kontrolle scheint keine politische Aufgabe mehr zu sein. Auch das verheißt nichts Gutes.

Ulrike Lunacek, Spitzenkandidatin der Grünen, sagte jüngst in einem Interview: „Wir sind bereit.“ Offenbar auch für eine Minderheitsregierung jeglicher Art, die Sebastian Kurz (ÖVP) als etwas „ganz Neues“ angedeutet hat. Auffallend war, dass niemand dabei die Rolle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen thematisierte. Weiß Lunacek etwas, das andere noch nicht wissen? Schade, dass sie die Rolle von Opposition in einer gefestigten Demokratie so kleinredet.

Wer unter den Grün-Sympathisanten Kontrolle als Kernaufgabe der Grünen sieht, dem bleibt nur die Liste Pilz. Das aber könnte zur Folge haben, dass Grün & Ableger Pilz nicht mehr im Parlament vertreten sein werden. Damit hätte man das krasse Gegenteil erreicht, wofür die Grünen seit 31 Jahren gekämpft haben. Eine wirklich großartige Leistung, aber eben auch das Resultat einer offenkundigen demokratischen Haltungsschwäche.

Auch die Neos haben offenbar nur ein Ziel, die Regierungsbeteiligung. Matthias Strolz wäre also lieber der „Stachel im Fleisch“ am Regierungstisch als in den Abgeordnetenreihen. So kann man es auch rechtfertigen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Weder ist der Wille zur Macht, die für SPÖ, ÖVP und FPÖ nach einem Wahlsieg greifbar ist, noch die Sehnsucht nach dem Mitregieren anrüchig. Unter den österreichischen Rahmenbedingungen jedoch ist die eklatante Geringschätzung einer funktionierenden Opposition äußerst bedenklich. Ist diese einmal geschwächt, kann ein demokratiepolitisches Multi-Organversagen nicht ausgeschlossen werden. Ist das im Sinn der Grünen und Pinken?

Sie wären über jeden Verdacht erhaben, würden sie eine Reform des geltenden Wahlrechts, das diesen ewigen Koalitionsklamauk erzwingt, thematisieren. Tun sie aber nicht. Also doch Mist?

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: „Reality Check“, http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2017)

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