Der brave Bürger verwendet kein Bares, um leichter kontrollierbar zu sein

Cash in Scheinen zu verwenden könnte in der Europäischen Union bald das neue Rauchen sein: leicht anrüchig und sozial geächtet. Damit geht freilich nur ein weiteres Stück Freiheit verloren.

Im Europa des 21.Jahrhunderts ist es eine eher mühsame Angelegenheit, über keinerlei Bankverbindung zu verfügen. Denn ohne Konto werden aus naheliegenden Gründen selbst alltägliche Trivialitäten wie das Mieten einer Wohnung zu nahezu unlösbaren Aufgaben.

Weil sich aber noch immer rund 60 Millionen Europäer in dieser unerquicklichen Lage befinden, will die EU eine Art Grundrecht aufs Girokonto einführen: Banken werden künftig jedermann eine Kontoverbindung einräumen müssen, der nicht gerade dem einträglichen Gewerbe der Geldwäscherei nachgeht. Auch Europas Arme werden also künftig ein Konto ihr Eigen nennen können. Was auf den ersten Blick wie ein beachtlicher sozialer Fortschritt erscheinen mag, könnte noch außerordentlich unerquickliche Nebenwirkungen haben.

Denn sind erst einmal alle Europäer flächendeckend mit Girokonten versehen, lassen sich teilweise Bargeldverbote, wie sie zuletzt in immer mehr Staaten der Union um sich greifen, wesentlich leichter realisieren. In Italien etwa sind Bargeldtransaktionen generell nur noch für Beträge unterhalb einer Grenze von 1000 Euro erlaubt, in Griechenland sind es 1500 Euro. Auch Frankreichs Regierung erwägt eine derartige Limitierung von Cash-Geschäften. Noch weiter sind die Schweden, wo selbst manche Banken keine Scheine mehr ausgeben oder annehmen und Bargeld in den kommenden Jahren überhaupt weitgehend verschwinden wird.

Dass die EU-Kommission eine Diskussion darüber angeregt hat, den 500-Euro-Schein in der ganzen Eurozone ersatzlos abzuschaffen, deutet ebenfalls an, woher der Wind weht: Der Bürger soll mehr oder weniger sanft genötigt werden, seine Geldgeschäfte künftig ausschließlich über Konten und Karten abzuwickeln.

Bargeld hingegen dürfte schon bald anrüchig werden wie Zigaretten zu rauchen: Cash wird die neue Camel ohne Filter sozusagen.

Für den einzelnen Bürger bedeutet das eine weitere Beschneidung seiner Freiheit. Denn wenn erst einmal alle Transaktionen unbar und digital getätigt werden (müssen), wird das Privatleben jedes Einzelnen damit bis in die intimsten Intimzonen nachvollziehbar, dokumentierbar und einsehbar. Damit wird ein Ausmaß an Bespitzelung und Überwachung technisch möglich, gegen das die „Vorratsdatenspeicherung“ unseres Kommunikationsverhaltens geradezu wie ein Akt staatlicher Diskretion wirkt.

Zugleich erhöht dieses sukzessive Zurückdrängen des Bargeldes zugunsten digitaler Transaktionen das Risiko jedes Einzelnen, im Zuge einer Bankenpleite zur Kasse gebeten zu werden. Denn künftig sollen in der EU ja im Falle einer finanziellen Unpässlichkeit von Geldinstituten auch – wie jüngst in Zypern – die Kontoinhaber einen erheblichen Teil ihrer Einlagen verlieren.

Das lässt sich umso effizienter organisieren, je weiter der Gebrauch von Barem zurückgedrängt werden kann. Wenn, wie etwa in Italien, nur Bagatellgeschäfte unter der 1000-Euro-Grenze gestattet sind, wird der Besitz größerer Bargeldbestände völlig sinnlos – was das Risiko noch zusätzlich erhöht, unfreiwillig zur Sanierung einer Bank beitragen zu dürfen.

Ungestört Bargeld verwenden zu können, das keinerlei Spuren hinterlässt, kann als ein Stückchen Freiheit verstanden werden, die preiszugeben einfach töricht wäre.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2013)

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