Vom törichten Werk, die islamische Welt mit Demokratie zu beglücken

Mit Marschflugkörpern kann der Westen in Syrien bestenfalls Obamas Glaubwürdigkeit vor der Insolvenz bewahren. Unterstützungswürdige Demokraten aber gibt es auch dort nur eine Handvoll.

Einen „Leuchtturm der Demokratie“ wolle Amerika im Irak errichten, tönte vor fast einem Jahrzehnt der damalige stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, einer der neokonservativen Chefideologen der Bush-Ära.

Viele, darunter auch der Autor dieser Kolumne, hielten das damals für richtig – und zwar aus einer plausibel klingenden Annahme heraus: dass letztlich alle Menschen, unabhängig von ihrer Religion oder Ethnie, mehr oder weniger so leben wollen wie wir. Also in einem demokratischen, liberalen Rechtsstaat – und, wenn's geht, mit möglichst vollen Kühlschränken für alle. „Das Ende der Geschichte“ nannte der US-Vordenker Francis Fukuyama diese grandiose Vision. Auf dieser Prämisse sollte es nicht allzu schwer sein, eine Demokratie zu errichten.

Heute, ein paar tausend durch Autobomben in die Luft gesprengte Iraker, ein ägyptisches Tian'anmen-Massaker und ein dramatisch eskalierendes Blutbad in Syrien später müssen wir erkennen: Diese Annahme war eine naive Illusion.

Der „Leuchtturm der Demokratie“, von dem sogar Barack Obama – nicht gerade ein ausgewiesener Fan der neokonservativen Bush-Doktrin – noch 2011 salbungsvoll sprach, ist eine kaputte Bauruine geblieben, die vermutlich früher oder später im Sand der arabischen Wüste untergehen wird wie einst der Turm zu Babel. Und zwar aus einem simplen Grund: weil es im ganzen Bogen vom Marokko bis in den Iran Demokraten nur in sehr überschaubarer Zahl gibt. Gut sichtbar wurde das jüngst in Ägypten, wo die eine knappe Hälfte der Bevölkerung einen religiös dominierten islamischen Staat will, die andere Hälfte eine säkular-autoritäre Führung durch das Militär.

Die paar Liberalen im westlichen Sinn hingegen taugen bestenfalls als Komparserie für westliche TV-Teams auf dem Tahrir-Platz. Politisch sind sie weitgehend irrelevant, so sympathisch sie uns auch erscheinen mögen.

Dasselbe Bild zeigt sich mehr oder weniger in der gesamten arabisch-islamischen Welt. Auch in Syrien stehen ja Jihadisten aller Schärfegrade einer Diktatur gegenüber, die durchaus noch gewisse Teile der Bevölkerung hinter sich hat. Jene echten Demokraten, denen man mit Cruise-Missiles zu Hilfe eilen könnte, sind auch dort bequem im Hinterzimmer eines größeren Shisha-Cafés in der Altstadt von Damaskus unterzubringen. Und wo sind die Anhänger einer lupenreinen Westminster-Demokratie mit 50-Prozent-Quote für Frauen in Ober- und Unterhaus in Libyen, den ultrakonservativen Emiraten, im auspeitschungsaffinen Saudiarabien oder den Palästinenserterritorien vorzufinden?

Dass die Demokratie nach westlichem Muster in dieser Gegend nicht viel populärer ist als Arte beim durchschnittlichen europäischen TV-Junkie, liegt nicht zuletzt in der Natur des real existierenden Islam, der als ganzheitliche Lebensform mit Überlegenheitsanspruch mit liberalen Demokratien nicht wirklich kompatibel ist. Selbst in der Türkei, die lange als Beweis des Gegenteils galt, zeigt sich immer mehr, dass der angeblich gemäßigte Islamismus Recep Tayyip Erdoğans die Demokratie zunehmend „putinisiert“, also zu einer Farce degradiert.

Dass die Nachfrage nach „demokratischen Leuchttürmen“ in der islamischen Welt überschaubar ist, mag man bedauerlich finden. Diese Tatsache zu verdrängen wäre aber töricht.


Reaktionen senden Sie bitte direkt an:debatte@diepresse.com


Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.