Männer, Frauen und andere Relikte einer reaktionären Vergangenheit

Das Europäische Parlament beweist gerade auf beeindruckende Weise, wie weit sich seine Abgeordneten von der Lebenswirklichkeit ihrer Wähler entfernt haben.

Gemessen daran, dass das Europäische Parlament eine Institution mit vergleichsweise überschaubaren Kompetenzen ist – es darf nicht einmal aus eigenem Antrieb Gesetze beschließen –, kommt uns dieses Parlament nicht gerade billig: 751 Abgeordnete und mehr als 6000 Angestellte kosten den EU-Steuerzahler derzeit etwas unter zwei Milliarden Euro pro Jahr.

Doch jene kleinlichen und beckmesserischen Kritiker, die das für etwas überteuert halten, lassen regelmäßig die fulminante legistische Qualität außer Acht, mit der dieses Parlament unermüdlich dafür sorgt, dass das Leben der Insassen der Europäischen Union so gedeiht, wie es die Obrigkeiten für angemessen erachten. Jüngstes Beispiel dieser aufopferungsvollen Arbeit am Altar des europäischen Friedensprojekts ist der „Bericht des EU-Parlamentes über die Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015“, den die Abgeordneten dieser Tage mit Mehrheit angenommen haben.

Unbekannt ist leider, wie viele tausende Stunden hoch bezahlter Arbeit von den Abgeordneten und Angestellten des Hauses in diesem monumentalen Werk stecken, fast 500 Abänderungsanträge waren etwa zu berücksichtigen. Dafür adressiert dieser Beschluss des Europäischen Parlaments nun eines der brennendsten Probleme der Europäer zwischen Nordkap und Lampedusa: Beherzt fordert das Parlament die Kommission auf, „die Mitgliedstaaten bei der Einrichtung von Lehrstühlen für Geschlechterstudien und feministische Forschung zu unterstützen“.

Das war in der Tat höchste Zeit. Angesichts der mittlerweile allein im deutschen Sprachraum hunderten einschlägigen, natürlich vom Staat alimentierten Uni-Jobs ist hier ein Einwirken der EU-Kommission auf die Mitgliedstaaten einfach ein Gebot der Stunde, alles andere würde das Friedensprojekt in seinem weiteren Bestand gefährden. Viele neue Lehrstühle für Geschlechterstudien und feministische Forschung sind deshalb quasi alternativlos – und, nebenbei, ein wertvoller Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter Jungakademikerinnen. Weil das natürlich allein nicht reicht, um die Gleichstellungsziele im nächsten Fünfjahresplan zu erfüllen, fordert das Parlament von der EU-Kommission entschlossen „die Verwendung von Gender Mainstreaming, Gender Budgeting und Gender Impact Assessment in allen Bereichen und im Falle eines jeden Legislativvorschlags auf allen Regierungsebenen zu fördern und so für konkrete Ziele im Bereich der Gleichstellung zu sorgen; (und) fordert den Rechnungshof auf, auch die Geschlechterperspektive in die Bewertung des EU-Haushalts zu integrieren“. Dankenswerterweise öffnet uns das Europäische Parlament so auch die Augen dafür, wie falsch die Prioritäten sind, mit denen sich nationale Politik so oft abmüht: Fantasielos geht es da ewig um Jobs (zu wenige), Steuern (zu hoch) oder Migration (zu viel) oder andere Orchideen-Probleme– und nicht um so existenzielle Fragen wie Gender Impact Assessments, ein leider noch immer verantwortungslos unterschätztes Thema.

Für übellaunige Männer, deren intellektuelle Begrenztheit sie daran hindert, den Wert solcher Initiativen ausreichend zu würdigen, findet sich in dem Papier ebenfalls Abhilfe: Sucht euch einfach ein anderes Geschlecht aus! Denn: Das Parlament „fordert die Kommission auf, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die uneingeschränkte Anerkennung des von einer Person bevorzugten Geschlechts vor dem Gesetz ermöglichen“. Damit folgen die Damen und Herren Abgeordneten offenbar der Annahme, das Geschlecht sei nicht etwa genetisch bedingt und über Chromosomen definiert, sondern ein sogenanntes soziales Konstrukt, also gleichsam reine Erziehungsfrage und damit auch der Disposition des Einzelnen unterworfen.

„Your Tax Dollars at work“, pflegen die Amerikaner ironisch solchen Unfug einer außer Rand und Band geratenen Gesetzgebung zu charakterisieren. Geht, wie man sieht, mit Steuer-Euro genauso.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)

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