Na klar, wie immer sind die Juden an allem schuld!

Die politische Linke fürchtet sich vor einer Machtübernahme der Freiheitlichen Partei – und ignoriert die wirklichen Gefahren eines neuen Antisemitismus.

Während europäische Sozialdemokraten vom EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz abwärts sittlich erregt vor einer faschistischen Machtergreifung in Österreich im Fall eines Wahlsieges des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer schwurbeln, tut sich auch im antifaschistischen linken Camp ganz Interessantes.

Mit einem eher unorthodoxen Geschichtsverständnis trat da etwa jüngst der ehemalige Bürgermeister von London, Ken Livingstone, eine Ikone der politischen Linken Europas, an die erstaunte Öffentlichkeit: „Erinnern wir uns, dass es Hitlers Politik war, [. . .] dass die Juden nach Israel umsiedeln sollten. Damit unterstützte er den Zionismus. Dann wurde er verrückt und brachte am Ende sechs Millionen Juden um. Adolf Hitler als ungeouteter Klosett-Zionist, der schließlich in einer Kurzschlusshandlung, wie sie doch jedem irgendwann einmal passieren kann, irrtümlich den Holocaust veranstaltet – das hat was. Wir können uns lebhaft vorstellen, was passieren würde, wenn Norbert Hofer derartigen Müll absonderte.

Schon früher hatte im gleichen Sound die Labour-Abgeordnete Naz Shah in einem Facebook-Eintrag „den Transport der Juden (aus Israel) in die USA“ als „Lösung für die Krise im Nahen Osten“ begrüßt. Dazu postete sie eine Karte der USA mit Israel als 51. Staat. Und auch der Chef der Labour Party selbst, Jeremy Corbyn, tut sich nicht ganz leicht, sich von Antisemiten abzugrenzen. Die Terrorgruppen Hamas und Hisbollah, beide der Auslöschung des jüdischen Staates verpflichtet, hat er vor nicht allzu langer Zeit noch als „Freunde“ bezeichnet.

Dass die politische Linke keine überdimensionierten Berührungsängste vor antisemitischem Islamismus hat, ist freilich kein auf das Vereinigte Königreich beschränktes Phänomen, das ist in fast ganz Europa zu beobachten. Auch der Wiener SPÖ-Politiker Omar al-Rawi trat schon bei einer Demonstration von Hamas-Anhängern in Wien auf, bei der es zu schweren antisemitischen Ausschreitungen gekommen ist. Dafür darf er sich seit Kurzem über das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich freuen. Passt schon. Wo immer sich Antisemitismus notdürftig als Israel-Kritik tarnt, ist die politische Linke eifrig mit an Bord.

Bis zu einem gewissen Grad folgt sie damit historischer Tradition, die sich von Karl Marx' Essay „Zur Judenfrage“ bis zum Antisemitismus der SPÖ der frühen österreichischen Nachkriegszeit wie eine rote Markierung durchzieht. Und in gewisser Weise noch immer nachwirkt, wenn etwa in der zeitgenössischen linken Bewegung Occupy Wall Street und auf verwandten antikapitalistischen Plattformen mit antisemitischen Topoi gearbeitet wird: „Humanity vs. the Rothschilds“ und „Google: Wall St.Jews“ lauten da etwa einschlägige Losungen.

Vor allem aber geht die Linke, darin mit den antisemitischen Islamisten durchaus einer Meinung, von einer wenig belastbaren Analyse aus: Für beide liegen die Wurzeln des islamistischen Fanatismus nicht in der Religion Islam, sondern im bösen westlichen Kolonialismus und Imperialismus und in der Unterdrückung und dem Elend, die der Westen damit gebracht hat.

Dass Antikapitalismus und Antisemitismus sich darob so oft und so intensiv im intellektuellen Zungenkuss finden, überrascht angesichts dieser politischen Logik nicht wirklich. Da findet vielmehr zusammen, was zusammengehört. Ken Livingstone, der frühere Londoner Bürgermeister, beklagt sich übrigens mittlerweile über „eine wohlorchestrierte Kampagne der israelischen Lobby“. Na klar, die Juden sind schuld!

PS – ausnahmsweise: Zur Personalie Werner Faymann ist eigentlich nur noch anzumerken, dass der zweifelsohne für das Amt des Bundeskanzlers ungeeignetste Politiker seit 1945 der Republik Österreich wenigstens ein Mal einen Dienst erwiesen hat, indem er den Weg für jemanden anderen freigegeben hat.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.