Herr Sarrazin hat recht

Warum soll es „Volksverhetzung“ sein, wenn ein Problem beim Namen genannt wird?

Wenn in der Türkei von der Justiz verfolgt wird, wer den Genozid an den Armeniern erwähnt, so wird das in Österreich oder Deutschland mit Recht als Zeichen für die mangelnde EU-Reife der Türkei beschrieben. Doch so gesehen ist Deutschland genauso wenig EU-reif wie die Türkei. Denn die Staatsanwaltschaft Berlin überprüft gerade, ob sie gegen den Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin Anklage wegen „Volksverhetzung“ erheben soll; Strafrahmen bis zu fünf Jahre Haft.

Sarrazins vermeintliches Verbrechen besteht darin, öffentlich gesagt zu haben: „Es ist ein Skandal, wenn türkische Jungen nicht auf weibliche Lehrer hören, weil ihre Kultur so ist. Integration ist eine Leistung dessen, der sich integriert. (...) Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für siebzig Prozent der türkischen und für neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin. Viele von ihnen wollen keine Integration, sondern ihren Stiefel leben. (...) Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren den Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden wären, mit einem um 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung.“

Von der Tonalität („Kopftuchmädchen“) her ist das nicht jener feine sprachliche Zwirn, der zum Habitus des Notenbankers gehört. Inhaltlich freilich hat Sarrazin (der früher Berliner SPD-Senator war) recht. In Berlin wie in den meisten europäischen Städten ist die Unwilligkeit und Unfähigkeit bestimmter Gruppen von Immigranten sich zu integrieren das kardinale Problem. Ein Staat aber, der mit fünf Jahren Haft bedroht, das auszusprechen, ist in der Tat genauso wenig EU-reif wie die Türkei. Dass Sarrazin jetzt stündlich von irgendwem zum Rücktritt aufgefordert wird und ihm der Ausschluss aus der SPD droht, ist symptomatisch: Wenn Politik die Moralkeule auspackt, anstatt das grundlegende Problem zu lösen, deutet das regelmäßig auf eklatantes Politikversagen hin.

Das ist in Österreich nicht anders. Jahrzehntelang haben SPÖ wie ÖVP dabei versagt, das Zusammenleben von Inländern, im Ausland geborenen Inländern und Ausländern vernünftig zu organisieren; stattdessen wurde jeder, der dieses Politikversagen beim Namen nannte, als Rechtsradikaler denunziert. Blöd nur, dass dieses Politikversagen nicht einfach dadurch verschwindet, dass man den Gebrauch des Wortes „Ausländerproblem“ als faschistoid diskriminiert. Wer meint, dieses Problem semantisch oder durch Haftandrohung lösen zu können, der darf sich über die Wut des Wählers dann freilich nicht wundern.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

christian-ortner@chello.atwww.ortneronline.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2009)

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