Warum beim Sex immer eine Notarin anwesend sein sollte

In Europa versucht die Scharia der politischen Korrektheit das Gleiche wie die Scharia in der islamischen Welt: Kampf gegen den Individualismus und Erzwingung eines homogenen Sozialverhaltens.

In der pakistanischen Stadt Hyderabad sitzt gerade einer im Gefängnis, weil er achtlos eine Vistenkarte auf den Boden warf, deren Besitzer blöderweise auf den Vornamen Mohammed hörte, was so auch in Goldlettern auf der Karte stand. Also klarer Fall von Gotteslästerung nach Scharia-Recht.

Je nach Gusto nehmen wir im freiheitlich-demokratischen Westen derlei Meldungen aus der moslemischen Welt mit Belustigung oder Empörung zur Kenntnis; fast immer aber im Bewusstsein, diesen im finsteren Mittelalter verfangenen Gesellschaften um Lichtjahre voraus zu sein.

Und dann erfahren wir plötzlich (Causa Julian Assange), dass ein Gentleman in Schweden Bekanntschaft mit der Justiz machen kann, wenn nach konsensualem Sex Differenzen über die Akkuratesse der Kondomanwendung auftreten, besagter Mann nicht sicherheitshalber vor dem Akt einen Vertrag über dessen Details anfertigen ließ – und nämliche Kopulation nicht unter Aufsicht einer Notarin absolviert, sicher ist sicher.

Vom Delikt der Gotteslästerung in Pakistan unterscheidet sich diese völlig abartige Gesetzgebung mitten in der Europäischen Union nur graduell, nicht prinzipiell. Denn in beiden Fällen arrogiert der Staat das Recht, über zutiefst Privates – Religionsausübung, Kondomanwendung – zu urteilen.

Auch in Österreich steckt der Staat ja seine Finger immer öfter in Gegenden der Privatsphäre, in denen er absolut nichts verloren hat. Das neue Gleichbehandlungsgesetz etwa verbietet unter Strafandrohungen, im Geschäftsleben jemanden wegen seines Alters, seiner politischer Überzeugungen, seines Geschlechtes oder einiger anderer Eigenschaften zu „diskriminieren“.

Heißa, wird das ein Spaß werden, wenn rechtsextremistische Rabauken einen jüdischen Hotelier verklagen, weil der ihnen seinen Konferenzsaal nicht vermieten will – und der deshalb wegen Diskriminierung einer politischen Anschauung verurteilt wird.

Es ist irgendwie paradox. Während Europas intellektuelle Klasse mit Recht darüber diskutiert, wie gefährlich das allfällige Einsickern von Elementen des islamischen Scharia-Rechtes ist, wird über den Hintereingang von den Parlamenten eine Art Scharia der politischen Korrektheit beschlossen. Ihr Ziel ist weitgehend ident mit jenem der islamischen Scharia: ein homogenes Sozialverhalten zu erzwingen.

An die Stelle des Koran tritt dabei ein informeller Kanon der politischen Korrektheit, der unser Privatleben immer dichter zu reglementieren versucht, von der zulässigen Glühbirne über die korrekte Geschichtsinterpretation bis zur gendergerechten Sprache – mal per Strafandrohung, mal bloß per Androhung sozialer Ächtung.

Das ist immer ärgerlich, manchmal aber noch dazu albern. Denn der gleiche Gesetzgeber, der seinen Staatsbürgern nun bei Strafandrohung verbietet, jemanden wegen seines Alters zu diskriminieren, beschließt gleichzeitig ohne jeden Genierer, dass in Hinkunft jüngere Einwanderer systematisch bevorzugt, ältere hingegen benachteiligt werden sollen („Rot-Weiß-Rot-Card“). Was eigentlich zur Folge haben müsste, dass die Staatsanwaltschaft die Republik wegen eines groben Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgesetz anklagen müsste. Noch lächerlicher kann sich ein Staat eigentlich kaum machen.



Reaktionen senden Sie bitte direkt an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.