Was hat Auschwitz mit dem 5000-Euro-Gehalt griechischer Lokführer zu tun?

Das in Brüssel immer wieder geflüsterte Argument, Deutschland müsse aufgrund seiner Geschichte der „Zahlmeister Europas“ sein, ist obsolet, verlogen und deshalb zu entsorgen.

Ein beamteter griechischer Lokomotivführer, so ist der staunenden Öffentlichkeit jüngst bekannt geworden, streicht für seinen todesmutigen Dienst im Führerstand seiner Maschine 5000Euro im Monat ein, und zwar netto. Das ist freilich geradezu bescheiden im Vergleich mit den spanischen Fluglotsen, die im Schnitt 25.000 Euro im Monat abheben dürfen.

Diese und zahllose ähnliche Beispiele sind nicht wirklich dazu angetan, beim Steuerzahler in Deutschland oder Österreich einen Rausch an europäischer Solidarität herbeizuführen und entsprechende Milliardenzahlungen zur Rettung dieser ökonomischen Filous vor der Pleite populär zu machen. Umso bemerkenswerter ist, wie jüngst der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt in der „Zeit“ die Notwendigkeit derartiger Milliardentransfers begründet hat: „Wenn wir Deutschen im 19.Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erheblich zum Unfrieden in Europa und in der Welt beigetragen haben, dann müssen wir in der heutigen Situation auf eine ganz andere Weise dazu beitragen, dass die Schrecken der Vergangenheit sich nicht wiederholen können. Dafür sind weitere Opfer an Souveränität und an Geld geboten.“

Es ist dies im Grunde die seit Jahrzehnten immer gleiche Argumentation: Weil die Deutschen vor 70Jahren Auschwitz verbrochen haben, sollen sie zahlen – und zwar für so ungefähr alles, was sich in Europa nicht rechtzeitig auf einen Baum flüchten kann. Ein Geschäftsmodell, das jahrzehntelang blendend funktionierte: Die Deutschen berappten auf tausenden Wegen ungefähr eine Zillion an nützlichen Abgaben dafür, als die „guten Deutschen“ und nicht mehr als böse Nazis zu gelten; der Rest Europas freute sich über den nie endenden Geldstrom aus Bonn und später Berlin, mit dem portugiesische Autobahnen, irische Niedrigsteuern und süditalienischen Bauern alimentiert wurden. Und jetzt halt die Milliarden-Rettungsschirme für die Pleitestaaten. Es war und ist im Grunde der größte Ablasshandel der Weltgeschichte.

Das mag in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben. Am Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21.Jahrhunderts aber ist eine derartige Argumentation – die subkutan selbst bei Brüsseler Verhandlungen auf höchster Ebene noch immer vorgebracht wird – eher obsolet.


Erstens, weil die heute agierenden deutschen Eliten ebenso wie die heute gemolkenen deutschen Steuerzahler für Auschwitz keine Verantwortung tragen und diese Verantwortung daher auch nicht in Milliardenbeträgen abtragen können.

Zweitens, weil die Vorstellung, sich mit Barzahlungen von einer allfälligen historischen Schuld befreien zu können, an sich höchst dubios ist (mit Ausnahme von Zahlungen an Opfer oder deren Nachfahren).

Drittens, weil nicht wirklich einsichtig ist, warum und wie die absurden Privilegien eines griechischen Lokomotivführers vom deutschen oder österreichischen Steuerzahler alimentiert werden sollen, um die in Auschwitz entstandene Schuld abzutragen.

Den von Schmidt eingemahnten Beitrag der Deutschen zum Frieden in Europa leisten diese ganz hervorragend, indem sie es sich endlich abgewöhnt haben, ihren Nachbarn regelmäßig den Schädel einzuschlagen. Einen Grund zu zahlen hat Deutschland hingegen nur, wenn es seinem nationalen Interesse entspricht.


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2010)

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