Bin ich denn wirklich ein Nazi, wenn mich der Eurobetrug ärgert?

Wer die mit Recht zornigen Bürger Europas als Fremdenhasser und „kleinkarierte Nationalisten“ denunziert, darf sich dann über deren Rache mittels Stimmzettels nicht wundern.

Quergeschrieben

Warum gewinnt in Finnland eine etwas obskurantistisch anmutende Partei der „Wahren Finnen“ die jüngste Parlamentswahl? Warum liegt in Frankreich die rechtsrechte Marine Le Pen in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl in Führung? Warum wäre die FPÖ, würde in Österreich am Sonntag ein neuer Nationalrat gewählt, möglicherweise die stärkste Kraft?

Geradezu prototypisch für die Denkweise traditioneller politischer Eliten Europas hat ein Kommentator des Wiener Nachrichtenmagazins „Profil“ diese interessanten Fragen für sich so geklärt: „Vom Schwarzen Meer bis zum Atlantik und von der Ostsee bis zur Adria – die Bösartigkeit der Fremdenhasser, die Angst vor dem Islam und kleinkarierte Nationalismen grassieren überall. Und das zerbröckelnde politische Zentrum – in seiner linken oder rechten Ausprägung – zeigt sich überall ratlos“ („Profil“ 16/2011).

So oder so ähnlich erklären sich Sozialdemokraten wie bürgerlich-konservative Politiker in ganz Europa den flotten Aufstieg der Neuen Rechten in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen: als eine Art ansteckende politische Krankheit, ausgelöst von mangelnder ideologischer Hygiene der Wähler.

Ganz abgesehen davon, dass die tatsächlich verbreitete „Angst vor dem Islam“ ja nicht unbedingt bedeutet, dass diese Angst deshalb unberechtigt ist, zeigt diese Erklärung freilich vor allem eines: wie sehr der politisch-mediale Komplex in Europa sich von der Lebenswirklichkeit der Wähler entfernt hat. In dieser Lebenswirklichkeit nämlich hat der finnische, der französische oder der österreichische Wähler beispielsweise bemerkt, dass er im Zuge der sogenannten „Eurorettung“ schlicht und einfach betrogen worden ist. Und nun zahlen muss, wofür er nie zahlen wollte und wofür er, wäre nicht EU-Recht glatt gebrochen worden, auch nie hätte zahlen müssen: für Griechenland, für Irland und für Portugal.

Wer die Opfer dieses Betruges als „kleinkarierte Nationalisten“ denunziert, fügt dem Hohn nun auch den Spott hinzu – und leistet damit einen wertvollen Beitrag zum weiteren „Zerbröckeln des politischen Zentrums“.

Ganz ähnlich verhält es sich mit jener vermeintlichen „Bösartigkeit der Fremdenhasser“, die angeblich den Aufstieg der Neuen Rechten befeuert. Wenn nämlich etwa Italiens Regierung an nordafrikanische Wirtschaftsflüchtlinge Visa für den gesamten Schengen-Raum ausgibt, um diese molto flotto loszuwerden, dann deutet Zorn über diesen Rechtsbruch nicht unbedingt auf „Bösartigkeit“ und „Fremdenhass“ hin, sondern eher auf ein realistisches Verhältnis zum Rechtsstaat und den dort festgeschriebenen Spielregeln des Asylverfahrens.

Es ist ein interessantes Experiment der traditionell staatstragenden Parteien links wie rechts der Mitte, die im Kern berechtigte Kritik an und nachvollziehbaren Zorn über die zwei zentralen Fehlleistungen der politischen Klasse der letzten Jahrzehnte – das Management von Migration und Einheitswährung – mit dem Mittel der Wählerbeschimpfung zu beantworten.

Der Ausgang dieses politischen Experimentes ist absehbar: der Untergang jenes von Christdemokraten und Sozialdemokraten dominierten Parteiensystems, das für Europa seit 1945 charakteristisch ist. Europas (bisherige) politische Klasse schafft sich gerade ab.


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2011)

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