Regieren per Rechtsbruch: Wie Brüssel zu Budapest wurde

Was ist schon die rechtswidrige Enteignung der Banken durch den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán gegen die gewaltige rechtswidrige Enteignung der europäischen Steuerzahler ?

Die Idee könnte fast von Werner „Eat the Rich“ Faymann stammen: Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán will die (meist österreichischen) Banken jetzt bekanntlich zwingen, magyarischen Kreditnehmern einen Teil ihrer Schulden zu streichen.

Das ist zwar glatte Enteignung, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht legal und wird Ungarn langfristig erheblichen Schaden zufügen – aber das ist dem gelernten Populisten in Budapest vollkommen gleichgültig, solange die bildungsferne Mehrheit der Wähler nur Beifall klatscht. Auf der Seite der sogenannten „kleinen Leute“ gegen die „Bonus-Zocker“ in den Banken, das zieht eben höllisch gut.

Trotzdem ist der – etwa von Außenminister Michael Spindelegger vorgebrachte – Vorwurf, Orbán verhalte sich „rechtswidrig“, zwar inhaltlich zutreffend, aber gleichzeitig einigermaßen scheinheilig. Denn Regieren per Rechtsbruch ist keine besonders empörenswerte Spezialität des ungarischen Ministerpräsidenten, sondern in ganz Europa mehr oder weniger gängige Praxis geworden.

Vor allem seit Ausbruch der Wirtschaftskrise geriert sich Europas politische Klasse auf eine Art und Weise regelmäßig derart rechtswidrig, dass Herrn Orbáns Enteignung der Banken im Vergleich geradezu hoch seriös erscheint. Da wird Griechenland – völlig entgegen dem EU-Recht und seinem „Bail-out“-Verbot – mit hunderten Milliarden gestützt. Da wird die Europäische Zentralbank genötigt, entgegen ihrer rechtlichen Verpflichtung staatliche Defizite zu finanzieren und die Notenpresse übermäßig rotieren zu lassen. Da brechen die Euroländer en masse die zwingend vorgeschriebenen Defizitgrenzen, ohne dass sie die dafür vorgeschriebenen Sanktionen erleiden müssen. Verträge sind in der heutigen EU offenbar vor allem dazu da, gebrochen zu werden.

Das Ganze ist eine rechtswidrige Enteignung der europäischen Steuerzahler in kolossalem Ausmaß. Viktor Orbáns Enteignung der Banken verhält sich dazu wie ein Ladendiebstahl zum Knacken der Bank of England. Selbst die ehemalige französische Wirtschaftsministerin (und jetzige IWF-Chefin) Christine Lagarde hat jüngst in einem luziden Interview zugestanden, dass all diese Maßnahmen gegen die europäische Schuldenkrise nicht rechtskonform sind.

Nicht wirklich erschließt sich in diesem Zusammenhang übrigens auch der prinzipielle Unterschied zwischen der Enteignung der Banken und ihrer Aktionäre in Ungarn (durch den erzwungenen Erlass von Teilen der Kredite) und der Enteignung von Banken und Aktionären in Österreich (im Wege der Bankenabgabe). Dass diese teilweise auf den Kunden abgewälzt und der damit auch enteignet wird, ist ja nicht wirklich ein Hinweis auf eine etwaige moralische Überlegenheit der österreichischen Variante der Enteignung.

Dass sich Ungarn unter Orbán immer mehr zu einem Staat entwickelt, in dem Rechtssicherheit mit dem Quadrat der Entfernung vom Regierungschef abnimmt, ist natürlich eine ungute Tendenz. Eine EU (und deren Mitglieder) aber, in der fundamentales Recht und vermeintlich bombensichere Verträge zu bloßen Absichtserklärungen verkommen, die eingehalten werden oder auch nicht, ist nicht wirklich gut legitimiert, Ungarn für seinen nonchalanten Umgang mit dem Recht zu rügen. Dazu ist Brüssel schon viel zu sehr Budapest geworden.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2011)

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