Wien – eine Besserungsanstalt für knapp zwei Millionen Teilentmündigte?

Es ist ja grundsätzlich unbestritten, dass Glücksspiel nicht wünschenswert ist. Aber alles verbieten zu wollen, was nicht wünschenswert ist, kann nur in einer Diktatur der Wohlmeinenden enden.

Quergeschrieben

Wohl keinem Menschen von auch nur leidlich klarem Verstand wird einfallen, Glücksspielautomaten und die sie beherbergenden Lokalitäten für wünschenswert zu halten. Dieses sogenannte kleine Glücksspiel organisiert letztlich bloß die Umverteilung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe in die Kassen der Automatenbetreiber, macht in vielen Fällen süchtig (samt der damit verbundenen sozialen Kosten) und ist volkswirtschaftlich ungefähr so nützlich wie eine Hagelschlagversicherung für eine Oase in der Sahara.

Dass sich die Wiener SPÖ zusammen mit den Grünen entschlossen hat, dieses traurige Geschäft zurückzudrängen, erscheint daher auf den ersten Blick ganz vernünftig. Die Automaten werden gegebenenfalls niemandem fehlen außer ihren Besitzern.

Trotzdem ist der Weg, den die Wiener SPÖ da einschlägt, grundsätzlich ein Weg in die falsche Richtung. Er basiert vor allem auf einem nur scheinbar menschenfreundlichen Menschenbild, das in Wahrheit vor Menschenverachtung nur so strotzt.

Denn ganz offenkundig hält die Wiener Sozialdemokratie (die Grünen sowieso) die Bürger dieser Stadt nicht für Menschen, die einigermaßen frei darüber entscheiden sollen, auf welchem Weg auch immer sie ihr Glück oder ihr Unglück finden, was natürlich auch die Freiheit einschließt, sich zu ruinieren. Die Wiener Sozialdemokratie scheint die Bürger dieser Stadt stattdessen viel eher für mehr oder weniger betreuungsbedürftige Subjekte zu halten, die der leitenden Hand der Obrigkeit bedürfen, um jenes Leben zu führen, das von der Sozialdemokratie approbiert und für wünschenswert gehalten wird.

Die daraus resultierende Stadt ist kein Dienstleistungsbetrieb für ihre Bürger, sondern eine Art therapeutischer Besserungsanstalt für knapp zwei Millionen meerschweinchenartige Insassen, die vom fürsorglichen Staat zu ihrem von der Bürokratie definierten Glück gestubst werden müssen, weil sie den Versuchungen der Freiheit nicht gewachsen wären.

Denen muss daher permanent nahegelegt werden, wie sie sich zu verhalten haben und wie nicht. Gouvernantenhaft regelt die Obrigkeit daher immer mehr Aspekte des bisher privaten Lebens. Wahrscheinlich danken wir es nur der einschlägigen Vorliebe des Wiener Bürgermeisters, dass der weiße Gespritzte noch nicht als Urheber sozialer Probleme verboten wird.

Es ist eine Pointe der Geschichte, dass vor allem Sozialdemokraten und Grüne, die sich selbst ja als emanzipatorische Kräfte verstehen wollen, immer systematischer zur Methode paternalistischer Zwangsbeglückung greifen, wie sie eher für autoritäre oder semiautoritäre politische Systeme charakteristisch ist. Dass das sogenannte bürgerliche Lager in seinem erbärmlichen Zustand dem nichts entgegenzusetzen hat, macht die Sache auch nicht gerade besser.

„Wer oft und viel geleitet wird“, schrieb Wilhelm von Humboldt 1792, „kommt leicht dahin, den Überrest seiner Selbsttätigkeit gleichsam freiwillig zu opfern. Er glaubt sich der Sorge überhoben, die er in fremden Händen sieht, und hat genug zu tun, wenn er ihre Leitung erwartet und ihr folgt. Noch mehr aber leidet durch eine zu ausgedehnte Sorgfalt des Staates die Energie des Handelns überhaupt und der moralischen Charaktere.“ Was langfristig üblere Auswirkungen haben wird als hunderte Spielautomaten.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2011)

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