Was macht eigentlich Faymann wenn er in Brüssel ist?

Die Euro- und Schuldenkrise zeigt geradezu dramatisch: Österreichs Gewicht in der EU ist marginal. Das liegt nicht an der Kleinheit des Landes, sondern an der Kleingeistigkeit seines politischen Personals.

Österreich ist offenkundig irgendwann im Verlauf der letzten Monate aus der EU ausgetreten, ohne dass es jemand gemerkt hat. Anders ist kaum zu erklären, wie der Bundeskanzler in den vergangenen Tagen und Wochen die wohl schlimmste Existenzbedrohung der EU seit ihrer Gründung gehandhabt hat: ungefähr wie eine mittlere Regierungskrise in Japan, also einen für Österreich überschaubar relevanten Vorgang.

Abgesehen von ein paar Floskeln bar jedes messbaren Inhaltes vermied es der Regierungschef penibel, in der Öffentlichkeit irgendeine erkennbare österreichische Position in dem europaweiten Ringen um die Zukunft der Union und des Euro zu beziehen. Angesichts der zugegebenermaßen etwas anspruchsvollen Materie schien er geradezu reflexartig in das Amt des Wiener Wohnbaustadtrates zu retardieren. Und der muss ja auch nicht unbedingt eine Meinung darüber artikulieren, wie es mit dem Euro weitergehen soll. (Wobei sich Faymann schon die Frage gefallen lassen muss, warum er nicht einfach im Auslandsressort der „Krone“ angerufen hat. Dort hätte man ihm den Sachverhalt sicher gern in leicht verständlicher Form erläutern können.)

Welche Haltung er in Brüssel im Detail vertreten hat und mit welchen Argumenten er welches Europa dort befürwortet hat und welches nicht – niemand weiß es genau zu sagen. Und das ist angesichts der europapolitischen Kompetenzen und Visionen dieses Kanzlers vielleicht auch besser so. Trotzdem ist die Vorstellung, dass Faymann im Rat der EU-Regierungschefs (formal) über eine Stimme mit dem gleichen Gewicht wie jene der deutschen Kanzlerin verfügt, nach wie vor etwas gewöhnungsbedürftig.

Dass nicht nur der Kanzler, sondern auch der Bundespräsident in diesen Krisentagen den Eindruck erweckte, die Republik habe mit der EU und ihrem Drama nichts zu schaffen, wird freilich nur naive Geister überraschen. Von diesem Bundespräsidenten so etwas wie politische Leadership bei schwerem europäischem Seegang zu erwarten ist ungefähr so wirklichkeitsnah, als erhoffte man vom Papst das eigenhändige Verteilen von Gratiskondomen bei der ersten Love-Parade auf dem Petersplatz. Wird nichts, das.

Es ist ein höchst aufschlussreicher Zufall der Geschichte, dass mitten in die dröhnende Sprachlosigkeit der Spitzen des Staates hinein das jüngste Buch („Was jetzt“) des 84-jährigen Hugo Portisch über den Zustand der EU, ihre Blödheiten und mögliche Auswege aus der Krise platzte.

Trotz seiner gar nicht populären Botschaft – „mehr Europa“ – verkaufte sich der schmale Band innerhalb einer einzigen Woche schon rekordverdächtige 18.000-mal. Der arme Portisch kann sich jetzt der Einladungen zu öffentlichen Auftritten im ganzen Land nicht mehr erwehren.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Weil Portisch genau das macht, was eigentlich die Schnarchnasen in der Bundesregierung hätten tun sollen. Er erklärt, was Sache ist, labert dabei nicht um den heißen Brei herum, spricht auch unangenehme Wahrheiten aus – und hat einen klaren Plan, wie es weitergehen könnte. Er ist dabei sachkundig, präzise und vor allem glaubwürdig.

Genau danach, Portischs bemerkenswerter Erfolg beweist es, besteht erheblicher Bedarf. Aber: Warum muss eigentlich ein 84-jähriger Privatmann jenen Job erledigen, für den der Bundeskanzler ganz gut bezahlt wird?


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2011)

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