Führt nicht auch Einbruchdiebstahl einmal zu sozialer Gerechtigkeit?

Wenn man jemandem 155.000 Euro stiehlt, ist das kriminell. Wenn die Anzahl derjenigen, die 155.000 Euro entwenden wollen, allerdings groß genug ist, nennt man das „Solidarabgabe“.

Die Forderung, den „Reichen“ – was auch immer das sein mag – Geld wegzunehmen, damit der Staat welches hat, das er nach Abzug seiner stattlichen Verwaltungskosten an die „sozial Schwächeren“ – was auch immer das sein mag – verteilen kann, ist in Österreich derzeit vermutlich mehrheitsfähig. Beim Maiaufmarsch der SPÖ waren einschlägige Parolen heuer, anders als in früheren Jahren, ungefähr so häufig anzutreffen wie die traditionellen sozialistischen Winkelemente.

Aber auch in der anderen sozialistischen Partei des Landes, der ÖVP, ist spätestens seit dem „Her mit dem Zaster“-Sager der Frau Innenministerin ein nonchalanter „Eat the Rich“-Habitus durchaus salonfähig; von der Partei der kleinen Leute und den grünen Roten ganz zu schweigen.

Das lädt zu einem kleinen Gedankenexperiment ein: Nehmen wir einmal an, ein Arbeitsloser würde in das Haus des Erste-Chefs Andreas Treichl einsteigen, dort 155.000 Euro stehlen, gefasst und vor Gericht gestellt werden. Dort würde des Täters Einlassung, er habe aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit gestohlen oder eigentlich ja bloß eigenverantwortlich umverteilt, vermutlich an der Höhe der Haftstrafe nichts ändern: Einbruchdiebstahl ist Einbruchdiebstahl.

Würden sich aber mehrere derartige Täter zusammentun, um nicht nur Herrn Treichl, sondern auch andere Wohlhabende um je 155.000 Euro zu erleichtern, wäre das Strafausmaß vermutlich noch höher: Das würde vom Gericht wohl als Bildung einer kriminellen Bande mit tüchtig extra Schmalz honoriert. Wenn schließlich, wie vergangenes Jahr in London geschehen, gleich ein paar tausend (angeblich) sozial Benachteiligte beginnen, Vermögensumverteilung selbst in die Hand zu nehmen, indem sie sich nehmen, worauf sie Anspruch zu haben vermeinen, rufen selbst biedere Sozialdemokraten ganz schnell nach der Armee, um diese Form des spontanen Vermögenstransfers zu unterbinden.

Als völlig legal wird dergleichen unfreiwillige Enteignung Besitzender durch weniger Besitzende hingegen angesehen, wenn eine Bevölkerungsmehrheit demokratisch darüber abstimmt, ob einer Minderheit Eigentum genommen werden soll oder nicht.

Dass eine Bande Herrn Treichl 155.000 Euro wegnimmt, ist nur so lange kriminell, solange die Bande nicht groß genug ist, um eine demokratische Mehrheit zu bilden. Dann heißt dieser Vermögensentzug nicht mehr Einbruchdiebstahl, sondern „Solidarabgabe“, und SPÖ-Politiker weisen auch noch hämisch darauf hin, dass Treichl gerechtigkeitshalber um 155.000 Euro erleichtert worden sei – und zwar nicht wie bei privater Kriminalität einmalig, sondern wie bei ihrer staatlichen Schwester üblich Jahr für Jahr.

Worin freilich der ethische Unterschied zwischen diesen beiden Formen des Vermögensentzugs liegt, was also an der Enteignung durch Mehrheiten „gerechter“ sein soll als an einer Enteignung durch Minderheiten (wie Einbrechern), haben uns bisher weder Frau Her-mit-dem-Zaster noch ihre sozialdemokratischen Gesinnungsgenossen so recht erläutern können.

Ein Gemeinwesen aber, in dem die Mehrheit völlig ungebremst über die Enteignung der Minderheit entscheidet, wird irgendwann zerbrechen. Denn wie schon Margaret Thatcher wusste: „Das Problem der Sozialisten ist, dass ihnen irgendwann das Geld der anderen Leute ausgeht.“


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2012)

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