Denn sie wissen nicht, was sie schreiben sollen

Die Konklave-Berichterstattung ist überwiegend lächerliches Zeug. Kein Wunder: Fast alle Journalisten halten das Thema Kirche an sich für mittelalterlichen Schwachsinn.

Die derzeit in allen Details verhandelte Frage nach den Favoriten bei der morgen beginnenden Papstwahl ist ein Klassiker des fernfuchtelnden Hausfrauenjournalismus. Keiner hat eine Ahnung, aber alle haben etwas zu sagen. Da werden die Vorzüge und Nachteile von Personen, die keiner der Autoren je zu Gesicht bekommen hat, erörtert, angebliche Grundgesetze – sicher kein zweiter Deutschsprachiger hintereinander, obwohl Herr Schönborn „figura fantastica“ ist! – der Konklavewissenschaft referiert, man produziert als „Illustration“ des sinnfreien Textkonvoluts ebenso sinnfreie Grafiken, in denen man purpurne Strichmännchen in Konklavebestuhlung in der Sixtinischen Kapelle erahnen kann.

Großereignisse wie das Konklave sind die Geißel der neuen Medienwelt: Da dauert etwas mehrere Wochen, mit Beteiligten, die man nicht einfach jederzeit vor die Kamera bringt und deren öffentliche Aussagen man nicht lesen möchte, weil man sie, da es sich eventuell um Theologie handelt, ohnehin nicht einordnen könnte. Und trotzdem braucht man jeden Tag etwas Neues. Also interviewen Journalisten, die ihre Basisinformationen von aus dritter Hand informierten Journalisten haben, Journalisten, die immerhin aus zweiter Hand informiert sind und zudem über den unschätzbaren Vorzug verfügen, dass sie die Tanten von Journalisten kennen, die einmal bei einer Zeitung gearbeitet haben, bei der es einen gibt, der sich „Vatikanist“ nennt.

Die Option, die Wahrheit zu sagen und zu schreiben, existiert offensichtlich nicht. Die Wahrheit ist: Wir haben keine Ahnung, weder von den Mechanismen in den Führungsetagen der römisch-katholischen Kirche, noch von den Mustern und Inhalten der Interaktion unter den Wahlberechtigten, eigentlich nicht einmal in Grundzügen von der Organisation, um die es geht. Ist aber so: Es gibt in Redaktionen kaum noch Menschen, die die katholische Kirche nicht für eine skurrile Ansammlung von wirklichkeitsfremden Idioten mit kinderschänderischen Neigungen halten, deren Noch-Existenz sie für ein im Grunde unverzeihliches Versäumnis der Evolution halten.

Was aus Anlass des beginnenden Konklaves an Pseudoinformationsmüll über die Kirche verbreitet wird, ist beispiellos. Stellen Sie sich vor, über die amerikanischen Präsidentenwahlen schrieben ausschließlich Journalisten, die nicht einmal wissen, wo die USA genau liegen, wie viele Bundesstaaten sie haben, was ungefähr in ihrer Verfassung steht und aus welchen ideengeschichtlichen Quellen sich die Programme der Kandidaten speisen. Oder die Innenpolitik-Journalisten, die über Landtags- und Nationalratswahlen in Österreich berichten, hätten keinen Überblick über die österreichische Verfassungslage, wüssten über die Grundzüge des Wahlrechts nicht Bescheid und hätten eklatante Lücken in ihrem zeitgeschichtlichen Wissen. Ups.


Die Diskrepanz zwischen dem vermuteten öffentlichen Interesse an einem Thema und der Relevanz, die es für die Nachrichten-Verantwortlichen hat, ist nirgendwo auch nur annähernd so groß wie beim Thema katholische Kirche. Journalisten und Redaktionsleiter glauben, sie müssten aus Gründen des Publikumsinteresses über Sachverhalte berichten, die sie selbst für vollkommenen Schwachsinn, für die letzten Reste von mittelalterlicher Denk- und Lebensweise im 21. Jahrhundert halten. Man darf sich nicht wundern, dass dabei so viel lächerliches Zeug herauskommt.


Reaktionen senden Sie bitte direkt an:office@michaelfleischhacker.at

Zum Autor:

>Michael Fleischhacker (*1969) arbeitete als
Journalist bei der
„Kleinen Zeitung“ und beim „Standard“, ab 2002 bei der „Presse“.
Von 2004 bis 2012 Chefredakteur der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.