Wie uns die „Süddeutsche“ sieht: Die Österreicher als Chamäleons

Wir haben ja immer schon geahnt, welches Bild die bayrischen Freunde von uns Österreichern haben. Nun lesen wir es schwarz auf weiß im Münchner Weltblatt.

Franz Olah, der ehemalige Gewerkschaftspräsident, erzählte es mir so: „Als ich 1938 im Transport nach Dachau saß, hörte ich den bayrischen Dialekt der Wachmannschaften. Das verhieß nichts Gutes. Wir wussten von den inhaftierten Gewerkschaftern im Deutschen Reich: Die Bayern sind die Schlimmsten.“ Tatsächlich musste er noch im Zug mitansehen, wie ein Ständestaatsfunktionär von den bayrischen Bewachern zusammengeschlagen wurde.

Fast 80 Jahre später sind die Schatten der Vergangenheit gewichen. Nur noch selten werden Stereotype bedient. In der „Süddeutschen Zeitung“ etwa. Dort war auf Seite eins eine Glosse über das Chamäleon zu lesen – jenes Tier, das blitzartig die Farbe wechseln kann. Ebenso reflexartig stellte die „Süddeutsche“ eine Ähnlichkeit zwischen dem Reptil und Österreich fest.

Was im Tierreich die Chamäleons, seien die Österreicher in der Politik. So wie dem Kriechtier, das es „im situationsbedingten Wechsel der Farben zu großer Fertigkeit gebracht“ habe, „gelang es bekanntlich den Österreichern binnen weniger Jahre, vom Rot-Weiß-Roten ins Tiefbraune zu verfallen, nur um nachher wieder in frischem Rot-Weiß-Rot zu leuchten, als sei nichts geschehen“. Zu lesen auf der Titelseite der „Süddeutschen Zeitung“.

Immerhin meldet dasselbe Blatt auch gelegentlich Positives. Etwa zum geplanten „Haus der Geschichte“: Zwar gelte „vielen der geplante Standort als sicherer Hinweis auf die Gestrigkeit des Konzepts“, aber es gebe auch Fortschritte. Die Österreicherinnen und Österreicher hätten endlich „die wesentlichen Fakten anerkannt“. Welche? Die „Süddeutsche“ zitiert: „Adolf Hitler war kein Deutscher.“ Das sei, so das Münchner Weltblatt, nun auch in Österreich anerkannt.

Ach, liebe Nachbarn! Wir Österreicher wissen seit geraumer Zeit, dass der in Braunau Geborene bei uns Maler und Obdachloser war. Führer und Reichskanzler wurde er in Deutschland. Wir wissen auch, was wir den Bayern verdanken: einen Franz Ziereis etwa, den KZ-Kommandanten von Mauthausen. Der kam aus München. Wie auch Franz Josef Huber, Gestapo-Chef in Wien und einer der NS-Hauptverbrecher. Nach dem Krieg wurde er von einer Nürnberger Spruchkammer als „minderbelastet“ eingestuft. Strafe: 500 D-Mark und ein Jahr auf Bewährung. Das österreichische Auslieferungsverfahren blieb wirkungslos.

Wir Chamäleons erinnern uns auch daran, wie sehr sich die deutsche Diplomatie im März 1938 um den Anschluss bemüht hat. Staatssekretär Ernst von Weizsäcker etwa, Vater des späteren deutschen Bundespräsidenten und Brigadeführer der Allgemeinen SS. Er brachte die NS-Machthaber auf die Idee, von den österreichischen Nazis einen „Hilferuf“ nach Berlin zur Entsendung deutscher Truppen zu verlangen – eine Taktik, die Moskau später in Budapest, Prag, Kabul und zuletzt auf der Krim anwandte.

Staatssekretär Weizsäcker war kein Chamäleon. Diese Spezies findet man nur in Österreich. Irgendwie erinnern mich die Österreich-Berichte der „Süddeutschen Zeitung“ an die friderizianischen Kaffeeschnüffler: Invaliden, die im Auftrag des großen Friedrich in den Gassen dem Röstgeruch von Bohnen nachgingen. Die aus dem Ausland waren verboten. Erlaubt war ausschließlich deutscher Malzkaffee. Den fand man gut.

Daher kann man dem Urteil der bayrischen Meisterschreiber nur hinzufügen, was Hans Reichmann, ein Österreicher, der 1938 flüchten musste, in der französischen Armee kämpfte und nach 1945 österreichischer Diplomat wurde, einmal sagte: „Die Berichterstattung über Österreich, vor allem in Deutschland, ist nicht mehr mit höflichen Worten zu beschreiben. Man könnte glauben, dass am 12. März nicht die Wehrmacht in Österreich, sondern das Bundesheer ins demokratisch regierte Deutschland eingefallen ist, um Hitler an die Macht zu helfen.“

Bald schon werden wir es so in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen. Wollen wir wetten?

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2015)

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