Geweih oder Degen: Über das, was die Menschen an die Wände hängen

„Student sein, wenn die Hiebe fallen, im scharfen Gang, der selbst gewählt, im blut'gen Aufeinanderprallen den Mut sich für das Leben stählt...“ (Studentenlied)

Vor Kurzem war in einer Illustrierten das Foto eines österreichischen Parteiführers zu sehen, hinter dem zwei Schwerter hingen; durch Zufall sah ich unlängst im Büro eines Nationalratsabgeordneten eine Waffe an der Wand, die wie ein Kavalleriesäbel aussah. Nun hängen die Menschen alle möglichen Dinge an die Wände: Hirschgeweihe, Auerhähne, Kuckucksuhren, Saufedern und manche auch Säbel und Degen.

Der Unterschied besteht in den Geschmäckern, die bekanntlich verschieden sind, aber vor allem in der Benützung der Gegenstände. Während kaum jemand mit ausgestopften Eichkätzchen oder Saufedern aufeinander losgeht, gibt es heute noch Menschen, die einander mit scharfgeschliffenen Degen gegenüberstehen, und zwar als Paukanten einer Mensur. Diese Waffengänge sind historisch interessant: Es waren nicht immer die Übelsten, die Burschenschaften angehörten, von Karl Marx bis Martin Bartenstein, von Theodor Herzl bis zum jungen Michael Häupl.

Waren die Mensuren im 19. und frühen 20.Jahrhundert noch ausgesprochen gefährlich und Korporierte dementsprechend oft mit breiten Schmissen zu sehen, sind die Kontrahenten heute gut geschützt. So kann man heute Mensuren ohne die früher begehrten Schmucknarben riskieren.

Dennoch spaltet der Kampf mit den scharfen Degen die Betrachter. Mark Twain wurde auf seiner Europareise zu Mensuren geladen und beschrieb das blutige Geschäft so: „Zwei dick bandagierte Gestalten wurden hereingeführt, die wie schwarze Klötze aussahen. Der prasselnde Lärm ihrer Hiebe hatte etwas wundervoll Aufrüttelndes. Nach einer Weile sah ich inmitten des Säbelblitzens ein Büschel Haare durch die Luft segeln. Ich schaute zu, wie zehn jungen Männern Kopf und Gesicht von scharfen zweischneidigen Säbeln zerhauen worden waren, und doch hatte ich keines der Opfer zusammenzucken sehen. Manchmal fallen Zuschauer bei diesen Duellen in Ohnmacht – und das scheint mir gar nicht so unvernünftig.“

Auch Heinrich Mann lässt im „Untertan“ seinen Diederich Heßling eine Mensur schlagen: „Beim ersten Durchzieher ward ihm schwach: Über die Wange fühlte er es rinnen. Als er dann genäht war, hätte er am liebsten getanzt vor Glück. Seine Männlichkeit stand ihm mit Schmissen drohend auf dem Gesicht geschrieben. Wohl hatte er noch immer einem Leutnant Platz zu machen, aber wenigstens mit einem Trambahnschaffner konnte er furchtlos verkehren, ohne Gefahr, von ihm angeschnauzt zu werden.“

Bischöfe mögen Mensuren moraltheologisch bedenklich finden (Andreas Laun, 1992), Burschenschafter als Charakterschulung (Martin Graf, 2009). Die leidenschaftlichste Abrechnung stammt von Kurt Tucholsky: „Der deutsche Geist?/ Hier steht er. Wie unsere Tiefquart sitzt!/Wir machen Hackepeter, dass die rote Suppe spritzt./Wir sind die Blüte der Arier und verachten kühl und grandios/die verrohten Proletarier/Auf die Mensur! Gebunden! Los!//Wir sitzen in zwanzig Jahren mit zerhacktem Angesicht/in Würde und Talaren über euch zu Gericht./Dann werden wir's euch zeigen in Sprechstunden und Büros.../ihr habt euch zu ducken, zu schweigen/Auf die Mensur! Gebunden! Fertig! Los!“

Ach ja: Gelegentlich findet man Menschen, die sich Gedichte an die Wand hängen. Manche würden gut neben scharfe Waffen passen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2011)

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