Das Lösen des Flüchtlingsproblems: Ein paar harte Lektionen für alle

Die Bewältigung der Flüchtlingswelle wird eine Revolutionierung der europäischen Sozialsysteme erfordern. Einige heilige Kühe werden geschlachtet werden müssen.

Katastrophenmeldungen und Kassandrarufe über das Flüchtlingsproblem haben wir genug gehört. Jetzt gilt es im Haus Europa, die Dinge in Ordnung zu bringen. Dafür werden einige heilige Kühe geschlachtet werden müssen. Zuallererst: Die Flüchtlinge müssen sofort zu arbeiten beginnen. Es gibt nichts Gefährlicheres als junge Männer, die Tag für Tag zusammensitzen und nichts zu tun haben. Sie werden damit regelrecht dazu gedrängt, Schwarzhändler, Drogendealer und Kriminelle zu werden. Die vorhandene Energie wird nicht in Arbeit sublimiert, sondern auf kriminelle Weise abgeführt – siehe Köln. Das muss sofort aufhören.

Welche Arbeit sollen die Flüchtlinge machen? Egal. Es gibt so viele Bereiche im öffentlichen und privaten Leben, in denen helfende Hände gebraucht werden. Für welchen Lohn? Egal. Der Mindestlohn muss ausgesetzt oder deutlich reduziert werden. Durch eine Negativsteuer muss die Differenz zur Mindestsicherung ausgeglichen werden. Das ist für die Gesellschaft noch immer billiger, als die Flüchtlinge zur Gänze zu erhalten.

Bleibt das Problem der angestammten Arbeitslosen, deren Zahl noch dazu ansteigt. Die Bewältigung der Flüchtlingswelle wird eine Revolutionierung der europäischen Sozialsysteme insgesamt erfordern. Als Grundformel gilt, dass Menschen mit Arbeit das 1,5-Fache dessen verdienen müssen, was sie als Sozialleistungen ohnehin erhalten. Sonst bleiben sie lieber arbeitslos und verdienen sich mit Schwarzarbeit etwas dazu.

Beim derzeitigen Stand des Arbeitslosengeldes kann die Mehrheit der Menschen, die derzeit ohne Beschäftigung sind, nie und nimmer netto mehr verdienen als sie an Sozialleistungen ohnehin erhalten. Das jetzige Sozialsystem bildet Menschen ohne Arbeit eher zu Profis in der maximalen Ausnutzung der Sozialleistungen und der entsprechenden Anspruchshaltung heran, als sie wieder für die Arbeitswelt zu gewinnen. Die Anpassung der europäischen Sozialsysteme ist daher sowohl für Flüchtlinge wie für die Arbeitslosen dringend erforderlich.

Mindestens genauso wichtig ist die rigorose Durchsetzung unserer Gesetze und unseres westlichen Wertesystems. Dabei werden einige lieb gewordene sozialromantische Illusionen auf der Strecke bleiben. Nicht alle Menschen sind grundsätzlich oder überwiegend gut oder können durch entsprechende Sozialisierung gut gemacht werden.

Es wird in unseren Gesellschaften immer Menschen mit gestörter Persönlichkeitsstruktur geben. Nicht, dass gute Erziehung, Bildung und ein unterstützendes soziales Umfeld nicht viel bewirken könnten – aber eben nicht immer. In diesen Fällen stehen einer Gesellschaft nur noch die Mittel der Polizei und der Justiz zur Verfügung, um sich zu schützen.

Dies gilt umso mehr für Menschen, die aus Ländern und Gesellschaften kommen, in denen Tod und Gewalt auf der Tagesordnung stehen, wo Hass und Intoleranz gelebt und gelehrt werden und die Gleichberechtigung von Frau und Mann oder der Schutz von Minderheiten keinen Wert darstellen.

Neben der Anerkennung grundsätzlicher Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Trennung von Staat und Religion geht es um noch mehr: Es hat sich letztlich in Europa ein Grundkonsens entwickelt, wie Frauen und Männer mit ihren jeweiligen sexuellen und libidinösen Bedürfnissen miteinander im Alltag umgehen. Das gilt es den zu uns geflohenen Menschen möglichst rasch und klar zu vermitteln.

Dies gilt übrigens auch für den Umgang mit Minderheiten, mit anders denkenden, anders orientierten oder anders gläubigen Menschen. Klar muss auch sein, dass Antisemitismus in Europa keinen Platz mehr hat. Ebenso unmissverständlich muss sein, dass Europa für die unbedingte Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel steht, wie auch immer man der Politik der jeweiligen Regierung gegenübersteht. Es sind allesamt harte Lektionen. Aber nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für uns selbst.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2016)

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